Kreditregel spaltet die Parteien im Wahlkampf
Von Angela Wefers, Berlin
„Wir werden aus den Schulden herauswachsen genau wie nach der Finanzkrise“, hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz wiederholt versichert, wenn er in der Corona-Pandemie im Bundestag um die Freigabe neuer Kredite warb. Es klingt beruhigend aus dem Mund des SPD-Kanzlerkandidaten. Trotz einer Nettokreditaufnahme in dreistelliger Milliardenhöhe und einer historisch hohen Neuverschuldung bahnt sich keine Finanzklemme an. Das Problem scheint sich quasi von allein zu lösen: Man muss nur lang genug warten, bis der Anstieg der Wirtschaftskraft die Schulden relativiert.
Für einige Parteien ist die Schuldenbremse im Wahlkampf dennoch ein Hemmschuh, der ihren guten Absichten entgegensteht, die deutsche Wirtschaft mit mehr öffentlichen Investitionen in Schwung zu bringen. Der lässige Eindruck, den der SPD-Kanzlerkandidat vermittelt, trügt. Kredite über dem Limit der Schuldenbremse müssen in späteren Jahren getilgt werden. Diese Vorgabe schränkt den politischen Gestaltungsspielraum des Bundes ein. Wenn die Tilgung voll greift, kostet sie zwei Fünftel des in der nächsten halben Dekade geplanten Investitionsetats von 50 Mrd. Euro jährlich. Die Pläne einiger Parteien für die neue Legislaturperiode reichen noch darüber hinaus. Die Grünen wollen die öffentlichen Investitionen in diesem Jahrzehnt um 50 Mrd. Euro zusätzlich im Jahr erhöhen. Dies sind 1,5% des BIP. Die FDP hat sich zum Ziel gesetzt, öffentliche und private Investitionen auf 25% des BIP zu steigern. Der Anteil liegt zurzeit bei 22%. Die SPD verspricht, die Investitionen auf dem erhöhten Niveau von 50 Mrd. Euro zu verstetigen – mit immerhin 10 Mrd. Euro mehr als in den vergangenen Jahren. Die Union legt sich in der Höhe der Investitionen nicht fest und kündigt erst einmal einen Kassensturz nach der Bundestagswahl an.
Grundgesetzänderungen zur Aufweichung der Schuldenbremse lehnen CDU und CSU ab. „Wir bekennen uns zur grundgesetzlichen Schuldenbremse“, heißt es im Wahlprogramm. Der Haushalt soll „so schnell wie möglich“ wieder ausgeglichen sein und die gesamtstaatliche Schuldenquote unter 60% fallen. Durch die Coronakrise wird die Quote auf mehr als 75% steigen – aber weniger als nach der Finanzkrise, als sie auf mehr als 80% kletterte. Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) liebäugelte zeitweise mit einem Deutschlandfonds aus öffentlichem und privatem Geld für Investitionen an der Schuldenbremse vorbei. Das Glaubwürdigkeitssiegel der Union als Partei der stabilen Finanzen stünde dadurch in Frage.
Anker im Grundgesetz
Die SPD umschifft das Problem im Wahlprogramm, indem sie die Schuldenbremse nicht erwähnt. Scholz will aber nicht an der Regel rütteln, wohl auch aus praktischen Gründen: Zur Änderung der Schuldenbremse müsste das Grundgesetz geändert werden. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit ist schwer zu bekommen. Die Linke hält die Schuldenbremse für „volkswirtschaftlich unsinnig“ und will sie komplett abschaffen. Bestehende Tilgungsverpflichtungen will sie hilfsweise auf 50 Jahre strecken – im Übrigen derselbe Zeithorizont, den die Regierung Laschet in Nordrhein-Westfalen für die Tilgung ihrer Coronaschulden gewählt hat. Das Gegenteil streben die Liberalen an: Die FDP will die Schuldenbremse mit dem Zusatz „2.0“ noch verschärfen. Die Kassen der Sozialversicherungen sollen für eine Finanzierung durch die Hintertür dicht gemacht werden. Zusätzliche versicherungsfremde Leistungen müssen laut FDP vollständig aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden.
Die Grünen setzen sich für eine Lockerung der Schuldenbremse ein. Bei konsumtiven Ausgaben soll es bei den derzeitigen strikten Regelungen bleiben, schreiben sie im Wahlprogramm. „Bei Investitionen, die neues öffentliches Vermögen schaffen, erlauben wir eine begrenzte Kreditaufnahme in Höhe der Netto-Investitionen“, schreiben sie. „So schaffen wir öffentliches Vermögen, das uns allen gehört, denn die Rendite öffentlicher Investitionen ist hoch, während der Bund keine Zinsen für seine Kredite bezahlt.“ Der Industrieverband BDI dürfte frohlocken. Schon 2019 hatte er sich in seltener Einigkeit mit dem Gewerkschaftsbund DGB hinter einen Vorschlag des Wirtschaftsforschungsinstituts IW Köln gestellt, die Schuldenbremse für ein Investitionspaket von zusätzlich 450 Mrd. Euro zu reformieren.
Der Idee, Investitionen nicht durch eine Schuldenregel zu begrenzen, folgte bereits der Vorläufer der Schuldenbremse im Grundgesetz. Neue Schulden durften so hoch sein wie die Investitionen. Doch dies hat Tücken. Oft sind die realisierten Investitionen geringer als das Soll im Etat. Auch Gewährleistungen, die nicht benötigt werden, sind ebenso als Investition definiert wie die reine Zuführung von Mitteln zu Sondervermögen wie dem Klima- oder Digitalfonds. Die alte Regel konnte die Verschuldung nicht stoppen. Die Schuldenbremse braucht Zeit, um sie in der ersten Krise zu erproben.
Bisher erschienen:
Die Steuerpolitik (16.7.)
Der Innovationsstandort (9.7.)
Die Ausgangslage (2.7.)