Welthandel

Krieg und Hunger

Die Ukraine und Russland spielen entscheidende Rollen bei der globalen Ernährungssicherheit. Die Erfahrung zeigt: Das gilt es auch bei künftigen, unvermeidlichen Sanktionspaketen zu berücksichtigen.

Krieg und Hunger

Ukrainische Bauern, die mithilfe ihrer Traktoren gekaperte russische Panzer abschleppen: Solche Motive stehen sinnbildlich für den heroischen Widerstand der Ukrainer gegen den russischen Vernichtungskrieg. Zu befürchten ist, dass diese Bilder bald eine weitere Symbolik bekommen, eine viel tragischere: Sie stehen für eine sich abzeichnende dramatische Nahrungsmittelkrise, die weit über Osteuropa ausstrahlen wird.

Die Traktoren werden eigentlich auf den Feldern gebraucht. Die Ukraine gilt als Kornkammer Europas. Auch auf den Weltmärkten ist das Land ein bedeutender Lieferant von Grundnahrungsmitteln und Agrarrohstoffen wie Mais, Sonnenblumenöl und Weizen. Groben Schätzungen zufolge könnten die Erträge dieses Jahr um mehr als die Hälfte einbrechen. Und wo überhaupt noch Ernten einzufahren sind, drohen fatale Transportprobleme: Ziele der brutalen russischen Angriffe sind die Hafenstädte Mariupol und Odessa.

Russland und die Ukraine stehen nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen für 30% der globalen Weizenexporte und für 20% der Maisausfuhren in aller Welt. Vor allem Menschen in Afrika drohen Hungersnöte. 35 Länder auf dem Kontinent sind laut Ngozi Okonjo-Iweala, Chefin der Welthandelsorganisation (WTO), von solchen Nahrungsmittelimporten abhängig.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Krieg auch zu Engpässen bei Düngemitteln und Mineralien führt. Russland ist einer der bedeutendsten Düngemittelexporteure der Welt. Vorübergehende Exportbeschränkungen Russlands und Berichte über Lieferschwierigkeiten infolge von Sanktionen haben bereits für Verwerfungen an den Märkten gesorgt: Die Weltmarktpreise für Weizen und Mais sind laut FAO auf Jahressicht um fast 20% gestiegen, das sind Rekordwerte. Okonjo-Iweala verwies auf Berichte der Afrikanischen Entwicklungsbank, wonach Nahrungsmittelpreise auf dem Kontinent noch stärker steigen.

Die WTO-Chefin hat die Aufmerksamkeit damit zu Recht auf Kriegsfolgen gelenkt, die in der hiesigen Debatte bislang allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Die Materie führt auch deutlich vor Augen, welche Kollateralschäden mit einem umfassenden Wirtschafts- und Finanzkrieg verbunden sind. Berichten zufolge verladen Reedereien aus Furcht vor Sanktionen Güter an russischen Häfen nicht mehr, Fracht lässt sich nicht mehr versichern. Nicht von ungefähr hat die EU solche Transporte von Sanktionen ausgenommen. Das gilt es auch bei künftigen, unvermeidlichen Sanktionspaketen zu berücksichtigen.

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