EZB lässt Geldpolitik nach erwarteter Zinssenkung offen
Nach einer ersten Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) ist laut Notenbank-Präsidentin Christine Lagarde vollkommen offen, wie die weitere Geldpolitik aussehen wird. „Wir können uns nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad festlegen“, sagte Lagarde am Mittwoch auf der Konferenz „The ECB and its Watchers“ in Frankfurt. Der Rückgang der Inflation mache zwar Fortschritte und die Unsicherheit bezüglich der weiteren Entwicklung sei kleiner geworden, doch es gebe nach wie vor einige Aufwärtsrisiken für die Teuerung. Daher müsse die EZB nach einer ersten Zinssenkung weiter strikt datenabhängig entscheiden.
Die wichtigsten Informationen sind für Lagarde die Lohnentwicklung, die Gewinnmargen der Unternehmen und die Produktivitätsentwicklung. Bis zur Zinssitzung im Juni werde man hierzu deutlich mehr Daten haben. „Angesichts der Verzögerung, mit denen diese Daten verfügbar sein werden, können wir nicht warten, bis wir alle relevanten Daten haben“, sagte Lagarde. Man werde vorher die Zinsen senken müssen. Wichtige Informationen für die EZB seien zudem die neuen Projektionen der Notenbankvolkswirte zu Inflation und Wirtschaftswachstum, welche die Notenbank im Juni veröffentlicht. Lagardes Äußerungen sind ein weiterer Hinweis darauf, dass die EZB im Juni die Zinswende einleiten dürfte.
Aufwärtsrisiken für Inflation
Wie es danach weitergeht, ist unter Notenbanken umstritten. Der griechische Notenbankpräsident Yannis Stournaras hatte jüngst vier Zinssenkungen der EZB in 2024 in Aussicht gestellt. Andere Notenbanker mahnen hingegen angesichts der hohen Teuerung im Dienstleistungssektor zur Vorsicht. „Wir erwarten, dass die Inflation bei Dienstleistungen für die meiste Zeit des Jahres erhöht bleiben wird“, sagte Lagarde. Dennoch seien die jüngsten Lohndaten ermutigend.
Die EZB rechnet derzeit damit, dass die realen Löhne im Euroraum innerhalb von drei Jahren auf das Niveau vor der Pandemie steigen werden. Sollte sich diese Entwicklung jedoch angesichts der niedrigen Arbeitslosenrate beschleunigen, könnte dies die Inflation 2025 nach Berechnungen von EZB-Ökonomen auf 3% anheben. Auch 2026 könnte dann das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 2,0% noch verfehlt werden. Ein anderes Aufwärtsrisiko sind die Gewinnmargen der Unternehmen. Diese könnten steigen, wenn sich die Wirtschaft stärker als erwartet erholen sollte. In der Folge wäre der Inflationsdruck höher.
Sollte die EZB wie allgemein erwartet im Juni die Zinswende einleiten, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie dies noch vor der Fed macht. Die US-Notenbank beließ den Leitzins am Mittwochabend deutscher Zeit ein weiteres Mal in der Spanne von 5,25 bis 5,5%.