Mehr Freiheit für den Markt statt mehr Macht für Brüssel
Mehr Freiheit für den Markt statt mehr Macht für Brüssel
Mario Draghis Vorschläge zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas gehen in die falsche Richtung. Ökonomen des ZEW zeigen auf, wie man es besser machen kann.
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Der Bericht des früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit hat ein großes Echo nach sich gezogen. Seine schonungslose Analyse der aktuellen Verfasstheit Europas wurde nahezu einhellig gelobt. In dieser warnte er die Europäer angesichts der Konkurrenz aus den USA und China vor einer „existenziellen Herausforderung“. Das Wachstum sei in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer schwächer gewesen als das der USA, und China hole rasch auf. Ein Großteil des Rückstands sei dabei auf die geringere Produktivität zurückzuführen, vor allem im Technologiesektor. „Europa hat die durch das Internet ausgelöste digitale Revolution und die damit verbundenen Produktivitätsgewinne weitgehend verpasst“, schreibt er. Die EU sei schwach bei neuen Technologien, die das künftige Wachstum antreiben würden. Nur vier der 50 größten Technologieunternehmen der Welt seien europäische Unternehmen.
„Statische Industriestruktur“
Bei Draghis Ratschlägen ist es dann aber mit der Einigkeit vorbei. Denn er votiert auf ganzer Linie für mehr Geld in den Händen der Brüsseler Politik und Bürokraten. Mit zusätzlichen bis zu 800 Mrd. Euro sollte die EU-Kommission in die Lage versetzt werden, neue Investitionen und mehr Innovationen anzustoßen. Europa, so Draghi, stecke nämlich in einer „statischen Industriestruktur“ fest. Das Geld müsse durch die Aufnahme neuer Gemeinschaftsschulden organisiert werden.
Allerdings stellt sich natürlich die Frage, warum nicht Mittel etwa aus dem Agrarhaushalt oder dem Kohäsionsfonds umstrukturiert und für offenbar wichtigere Verwendungszwecke eingesetzt werden können. Denn ihr bisheriger Einsatz hat ja den Agrarmarkt offenkundig nicht modernisiert, sondern erstarren lassen; und die schwächeren EU-Länder sind mit den vielen Kohäsionsgeldern ja auch nicht so viel stärker geworden wie erhofft. Das gilt ebenso für viele andere Geldtöpfe, deren Nutzen in der Bürokratie versickert.
Falscher Politikansatz
Friedrich Heinemann, Wissenschaftler am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), hat sich daher in einem Webinar über den Politikansatz Draghis geärgert, der durchdrungen sei „vom Glauben an den Erfolg einer europäischen Industriepolitik“ und – wie er an anderer Stelle schreibt – an die Fähigkeit von Technokraten, zukunftsträchtige Industrien zu identifizieren. Er sieht dahinter ein geradezu planwirtschaftliches Verständnis, dem keineswegs die Zukunftsfähigkeit der Region anvertraut werden dürfe.
Wie seine Kollegen Irene Bertschek, Sebastian Rausch und ZEW-Chef Achim Wambach wirbt er eher dafür, die bisherigen Instrumente der EU-Politik zu evaluieren und zu korrigieren, wenn sie sich als Fehlgriff erweisen. Zumindest darf es nicht dazu kommen, dass bei Misserfolg dieses Politikansatzes ein „mehr davon“ der Ratschlag zur Besserung wäre.
Überbürokratisierung angehen
Auch Bertschek plädiert dafür, zunächst jene Faktoren zu identifizieren, die mehr Investitionen und Innovationen verhindern. Sie verweist auf die Überbürokratisierung: Während US-Unternehmen gute Ideen gleich umsetzen, müssten europäische Firmen erst prüfen, ob dem nicht irgendwelche Regulierungen entgegenstünden. Wambach kann das mit Zahlen unterlegen: Während in der Amtszeit von Kommissionschefin Ursula von der Leyen 13.000 neue Gesetze erlassen wurden, seien es in den USA nur 3.000 gewesen.
Insgesamt zeigen sich die ZEW-Wissenschaftler erschüttert, wie wenig Vertrauen Draghi und die EU-Kommission in Marktprozesse hätten. Dabei zeigen doch gerade die amerikanischen Wachstumserfolge, die höhere Produktivität und Innovationskraft ihrer Wirtschaft, dass sich eine stärkere Hinwendung lohnt. Wenn dann der europäische Binnenmarkt tatsächlich durchharmonisiert würde, für digitale Anwendungen sogar ein Markt ohne nationale Sonderbestimmungen entstünde, wie es ZEW-Forscherin Bertschek vorschwebt, könnte man schon von der schieren Größe her mit dem amerikanischen Markt mithalten.
Draghi-Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit
EZB-Analyse zur Produktivitätslücke Europas