Mehr Geld und weniger Bürokratie für den Klimaschutz
ast Frankfurt
Zusätzliche Investitionen in Höhe von 860 Mrd. Euro sind notwendig, wenn Deutschland bis 2030 seine Treibhausgasemissionen um 65% verringern und damit sein nationales Klimaziel erreichen will. Das geht aus einer neuen Studie hervor, die der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) gemeinsam mit der Boston Consulting Group (BCG) am Donnerstag vorstellte. „Nach dem heutigen Fahrplan wird kein Sektor die Klimaziele erreichen“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Die neue Regierung müsse zügig die Weichen stellen. Sonst verspiele Deutschland nicht nur die Glaubwürdigkeit von „Klimaschutz made in Germany“, sondern auch seine Wettbewerbsfähigkeit.
„Der Klimaschutz muss Chefsache werden“, so Russwurm weiter. „Wir brauchen eine zentrale strategische Steuerung in der Regierung anstelle der Fragmentierung, die wir in der jetzigen Koalition beobachtet haben.“ Russwurm meint damit jedoch nicht die Einrichtung eines Klimaministeriums, wie es etwa die Grünen im Wahlkampf angedacht hatten. Die Klimapolitik müsse direkt im Kanzleramt verortet werden.
Das nationale Ziel der Klimaneutralität bis 2045 sei zwar ehrgeizig, aber technologisch machbar, so der BDI. Allerdings werde ein CO2-Preis alleine nicht reichen. „Wer das glaubt, ist bestenfalls naiv“, so Russwurm. Man müsse größer denken, um die Transformation ohne soziale und ökonomische Brüche zu schaffen. Es gelte zudem in den „Genehmigungsturbo“ zu schalten und Verfahren deutlich zu vereinfachen.
BCG-Klimaexperte Jens Burchardt sieht Bedarf in allen Bereichen der Wirtschaft. „Wir brauchen aber sehr viele sektorspezifische Maßnahmen“, so Burchardt. Im Verkehr müsse der Kauf von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben attraktiver werden – auch durch eine gute Ladeinfrastruktur und Investitionen in grüne Kraftstoffe. Im Gebäudesektor müsse der Sanierungsstau aufgelöst werden, etwa durch mehr Unterstützung für die Hausbesitzer bei den Anfangsinvestitionen. Im Energiesektor soll der Ausbau der erneuerbaren Energien zusammen mit einer spürbaren Erweiterung der Netze den notwendigen Wandel bringen. Zudem fordert die deutsche Industrie den Ausstieg aus der Kohle schon 2030. Das wiederum sei aber nur durch den Bau neuer Gaskraftwerke zu schaffen.
„Nicht alle Schultern sind gleich stark und nicht alle haben gleich viel zu tragen“, mahnt Burchardt. So komme es für die Akzeptanz der Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft auf sinnvolle Ausgleich- und Entlastungsinstrumente an. Zwar sei die Klimaneutralität nicht umsonst zu haben, doch die finanzielle Stemmbarkeit sei weniger das Problem, als dass alle Bereiche mitzögen. Dann könne Deutschland ein Muster für den weltweiten Klimaschutz sein.
Mit Gabriel Felbermayr, Clemens Fuest und Jens Südekum fordert ein Konsortium namhafter Ökonomen einen europäischen Weg in der Klimapolitik. Zwar spiele das Thema in den Koalitionsverhandlungen in Deutschland eine wichtige Rolle, letztlich müsse sie jedoch „europäisch und global gedacht werden“, so die Ökonomen in einem Papier des Ifo-Instituts. Europa könne in der Klimatechnologie eine führende Rolle einnehmen. „Der CO2-Preis ist das zentrale Instrument für diese Politik“, so das Papier. Dazu müsste der europäische Emissionshandel (EU-ETS) jedoch auf alle Sektoren ausgeweitet werden. Um den Wohlstand der Bürger und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen nicht zu gefährden, müssten die Einnahmen aus dem CO2-Preis wieder an die privaten Haushalte und Unternehmen zurückfließen.
„Spielräume vorsehen“
Sowohl BDI als auch Ifo-Institut betonen die Dringlichkeit öffentlicher, aber auch privater Investitionen. Bis 2030 seien rund 100 Mrd. Euro zusätzlich pro Jahr nötig, um die Transformation zur Klimaneutralität zu stemmen. Das Geld könne jedoch nicht vom Staat allein kommen. „Es muss uns gelingen, dass wir große Mengen privaten Kapitals für die Investitionen finden, aber es muss sich dann auch lohnen“, sagte Russwurm. Es sei eine der dringendsten Aufgaben der nächsten Bundesregierung, dieses Investitionsklima zu schaffen. Um den Staat zu entlasten, schlagen die Ökonomen um Fuest zudem vor, in den europäischen Verschuldungsregeln Spielräume für Klimamaßnahmen vorzusehen, ohne dass dadurch Zweifel an der Solidität der Staatsfinanzen entstünden.