Mehr Tempo
Keine Frage, die Europäische Zentralbank (EZB) steckt in einem gewaltigen Dilemma zwischen Rekordinflation und Rezessionsgefahr. Das Mandat der EZB ist aber glasklar: Preisstabilität. Die vordringliche Aufgabe der EZB muss es deshalb jetzt sein sicherzustellen, dass sich die hohe Inflation nicht dauerhaft verfestigt. Da ist es zweifellos gut, dass sich die EZB-Granden offenbar der Inflationsrisiken immer stärker bewusst sind. Bei der dringend nötigen Zinswende braucht es aber deutlich mehr Tempo.
Natürlich ist die Unsicherheit hinsichtlich Wachstum und Inflation wegen des Ukraine-Kriegs immens, nahezu beispiellos. Vor allem ein kompletter Lieferstopp bei russischem Gas hängt wie ein Damoklesschwert über der Euro-Wirtschaft. Die EZB darf aber als Konsequenz nicht in eine Schockstarre verfallen und dem Inflationstreiben weiter tatenlos zusehen. Sollte sich die Lage erneut zuspitzen und es zur Rezession kommen, werden die Karten womöglich neu gemischt. Nach derzeitigem Stand aber ist es höchste Zeit, die billionenschweren Anleihekäufe alsbald komplett einzustellen und rasch mit Zinserhöhungen zu beginnen.
Das gilt umso mehr, als von Seiten der Inflationserwartungen Ungemach droht. Ein wichtiges Barometer für die mittelfristigen Inflationserwartungen in Euroland ist inzwischen über die EZB-Zielmarke von 2% geklettert, auf rund 2,4%. Zwar besteht da noch kein Anlass für Alarmismus – zumal sich die Lohnanstiege bislang in Grenzen halten. Das Risiko einer „Entankerung“ der Erwartungen und einer gefährlichen Lohn-Preis-Spirale hat sich aber spürbar erhöht und ist so groß wie seit langer Zeit nicht mehr.
Bei allen Konjunkturängsten ist wiederum zu bedenken, dass die EZB-Geldpolitik selbst bei einem Ende der Anleihekäufe und einem Ende des Negativzinses bis Jahresende weiter extrem expansiv bliebe. Die EZB ist wahrlich meilenweit davon entfernt, ihrerseits die Euro-Konjunktur zu bremsen. Da gilt es, die Kirche im Dorf zu lassen.
Nicht übertreiben sollte auch die EZB selbst bei den Diskussionen über ein neues Instrument gegen mögliche starke Zinsspreadausweitungen zwischen den Euro-Ländern. Ja, die EZB muss ein Interesse daran haben, dass ihre Geldpolitik überall gleichermaßen ankommt. Und ja, in Krisenzeiten kann es nötig sein, sich gegen exzessive Marktspekulationen zu stemmen. Aber will sich die EZB wirklich anmaßen, in „Normalzeiten“ ein Urteil zu fällen, wie viel Zinsdifferenz etwa zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen „fundamental gerechtfertigt“ ist und wie viel nicht? Der Markt ist da ein nötiges Korrektiv. Eine Renditegarantie drohte zudem schnell zu einer Vollkaskoversicherung für politischen Schlendrian zu mutieren.