EZB

Nagel fordert großen Zinsschritt

Die Verbraucherpreise in der Eurozone sind im August so stark gestiegen wie nie seit Einführung des Euro. Notenbanker und Analysten wägen die Folgen für den EZB-Zinsentscheid nächste Woche.

Nagel fordert großen Zinsschritt

rec Frankfurt

Bundesbankchef Joachim Nagel dringt wegen der Rekordinflation in der Eurozone auf eine entschlossene Antwort der Europäischen Zentralbank (EZB). „Wir brauchen im September eine kräftige Zinsanhebung“, kommentiert Nagel die Schnellschätzung des Statistikamts Eurostat zur Inflation. Demnach sind die Verbraucherpreise im August auf Jahressicht um 9,1% gestiegen – so stark wie nie seit der Einführung des Euro 1999. Zweistellige Inflationsraten in Deutschland und der Eurozone sind wohl nur noch eine Frage der Zeit.

Somit steigt der Druck auf die Europäische Zentralbank, ihre Geldpolitik deutlich zu straffen. Im Juli hat die EZB in einem ersten Schritt den Negativzins in der Eurozone abgeschafft und die Leitzinsen um einen halben Prozentpunkt erhöht. Für den Zinsentscheid nächsten Donnerstag steht nun immer deutlicher eine Zinserhöhung um 75 Basispunkte im Raum. Dafür hat sich inzwischen ein halbes Dutzend Notenbanker ausgesprochen.

Der EZB-Rat will statt seines bisherigen Zinsausblicks nun Sitzung für Sitzung entscheiden und dies stärker von der Datenlage abhängig machen. Beobachter sehen den EZB-Rat durch die neuen Daten in Zugzwang. „Vor dem Hintergrund, dass sich die Inflation mehr und mehr verbreitert, ist das konsequente Vorgehen gegen die Inflation unerlässlich“, sagt etwa KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. Die Analysten der Bank of America haben ihre Zinsprognose für die September-Sitzung von 50 auf 75 Basispunkte angehoben. „Es ist eine sehr knappe Entscheidung, aber die Inflationsüberraschung im August gibt den Ausschlag.“

Kernrate zieht deutlich an

Besonders der unerwartet starke Anstieg der Kerninflation mache einen größeren Zinsschritt als im Juli wahrscheinlicher, heißt es bei den Europa-Volkswirten der US-Großbank. Die Kerninflation ohne die besonders stark gestiegenen Preise für Energie und Nahrungsmittel ist von 4,0 auf 4,3% gestiegen. Beobachter hatten lediglich mit einem geringfügigen Anstieg gerechnet. Das zeigt, dass die Verbraucherpreise auf breiter Front anziehen. Die EZB peilt mittelfristig 2% Inflation an.

Bundesbankchef Nagel bringt deshalb Besorgnis zum Ausdruck: „Es besteht das Risiko, dass die Phase hoher Inflation noch länger anhält und die aktuelle Teuerungswelle nur langsam abebbt.“ Daher sei es dringend notwendig, dass der EZB-Rat bei seiner nächsten Sitzung entschlossen handele, um die Inflation zu bekämpfen. „Andernfalls könnten sich die Inflationserwartungen dauerhaft über unserer Zielmarke von 2% festsetzen“, so Nagel. Im Anschluss sei mit weiteren Zinsschritten zu rechnen.

Anders als mehrere Kollegen um den niederländischen Notenbankchef Klaas Knot spricht sich Nagel nicht ausdrücklich für eine Zinserhöhung um 75 Basispunkte aus. In dieser Hinsicht legte kurz vor Beginn der Schweigephase vor der EZB-Sitzung nächste Woche Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann nach. Die Höhe des Zinsschrittes ist umstritten: Als prominentester EZB-Vertreter hat sich Chefvolkswirt Philip Lane gegen zu starke Zinserhöhungen ausgesprochen.

Die Inflation entwickelt sich in den einzelnen Euro-Staaten uneinheitlich. Besonders stark haben die Preise laut nationalem Statistikamt in Italien angezogen: Den dortigen Anstieg der Jahresrate von 8,4% auf 9,0% hatten Beobachter nicht auf der Rechnung. Sie hatten im Durchschnitt mit einem leichten Rückgang gerechnet. Auch in Deutschland hebt die Inflation nach vorübergehender leichter Erholung wieder ab: Der Anstieg auf 8,8% nach EU-harmonisierter Berechnung (HVPI) dürfte lediglich eine Durchgangsstation zur 10-Prozent-Marke sein. Schon im Oktober könnte die Inflationsrate zweistellig werden: Staatliche Ra­battaktionen wie das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt sind gerade ausgelaufen, und ab Oktober wird die umstrittene Gasumlage die Energiekosten treiben. Anderswo hat sich der Preisauftrieb nach Angaben der jeweiligen Statistikämter auf hohem Niveau leicht abgeschwächt: in Frankreich von 6,8% auf 6,5%, in Spanien von 10,8% auf 10,4%.

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