Neuer EU-Stabilitätspakt birgt Zündstoff in Deutschland
Neuer EU-Stabilitätspakt birgt Zündstoff in Deutschland
Bund und Länder haben versäumt, sich Fiskalregeln für die neuen europäischen Vorgaben zu geben.
Von Angela Wefers, Berlin
Eigentlich wollten sich Bund und Länder im Stabilitätsrat am Freitag über ihre Haushaltspolitik nach den neuen europäischen Fiskalregeln verständigen. Eigentlich soll der Finanzpolitisch-Strukturelle Plan (FSP) für Deutschland nach dem Kabinett in Berlin am nächsten Mittwoch nach Brüssel übermittelt werden. Dies hätte auch gepasst, denn die Frist dafür ist Mitte Oktober. Damit ist nun Essig.
Stattdessen wurde die Sitzung des Kontrollgremiums über die gesamtstaatlichen Finanzen abgeblasen. Verschiedenen Beteiligten sei wichtig gewesen, eine Entscheidungsgrundlage zum FSP zu haben, teilte das Bundesfinanzministerium auf Anfrage mit. Diese fehlt aber bislang.
Als Grund für die Verzögerung nennt das Ministerium „technischen Abstimmungsbedarf“ mit der EU-Kommission. Der FSP ist Teil des reformierten EU-Stabilitätspakts. Es dreht sich darin nicht mehr (nur) um das Defizit, sondern die Staaten legen Ausgabenpfade fest; konkret: Wachstumsraten der Nettoausgaben. Entscheidend sind Schuldenquote und Schuldentragfähigkeit. Eine Quote über 60% erfordert mittelfristig mehr Disziplin. Die Brüsseler Kommission hatte auf Basis der Frühjahrsprojektion Ausgabenpfade vorgeschlagen. Die Mitgliedsstaaten könne diese nutzen oder eigene regelgerechte Pfade festlegen.
Interessanterweise bleiben die Vorschläge aus Brüssel vertraulich. Es lässt sich nicht nachvollziehen, ob Deutschland dem Referenzpfad aus Brüssel folgt. Das Verfahren ist insoweit intransparent. Nicht einmal der Wissenschaftliche Beirat zum Stabilitätsrat kennt die Daten, obwohl diese unabhängige Institution eigens zur besseren Kontrolle der Fiskalpolitik etabliert wurde. Denn im Stabilitätsrat beaufsichtigen Bund und Länder sich selbst – ein eklatantes Governance-Problem.
Bund und Länder haben versäumt, sich Fiskalregeln für die neuen europäischen Vorgaben zu geben.
Der Wissenschaftliche Beirat zum Stabilitätsrat äußerte sich trotz Absage der Sitzung. Er warnt vor einer zu hohen Basis für den Ausgabenpfad. Der Nachtragshaushalt 2024 und die Planung für Sondervermögen treibe die Ausgaben 2024 hoch – höher als von Brüssel im Frühjahr noch veranschlagt. Damit werde faktisch eine „Sprungschanze“ gebaut. Ausgaben und Schulden flögen in der Anpassungsperiode von 2025 an auf überhöhtem Niveau. Der Beirat verlangt mindestens, die Verfehlung 2024 transparent im Kontrollkonto festzuhalten.
Gravierender noch ist, dass Bund und Länder ein Mechanismus für den Fall eines gedrosselten Ausgabenpfads fehlt. Die neuen EU-Fiskalregeln wurden hierzulande nicht föderal verankert. Wie Bund und Länder es unter sich aufteilen, wenn sie Ausgaben drücken müssen, ist offen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte schon vor Wochen – in Richtung ausgabefreudiger Koalitionspartner – gewarnt, dass der neue Stabilitätspakt für Deutschland striktere Vorgaben als die Schuldenbremse parat hat. Wie sehr, hängt nun auch vom Ausgabenpfad ab, den Deutschland sich gibt – und zu dem noch die Entscheidungsgrundlage fehlt. Es gibt weit mehr Probleme als nur „technischen Abstimmungsbedarf“.