Geldpolitik

„Noch scheint der Anker von 2 Prozent präsent“

Die Inflation im Euroraum könnte inzwischen strukturell höher sein als noch vor der Pandemie. Deswegen das Inflationsziel der EZB anzuheben, ist für Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors (AGI), dennoch der falsche Weg – ebenso wie zusätzliche EZB-Mandate.

„Noch scheint der Anker von 2 Prozent präsent“

Im Gespräch: Ingo Mainert

„Zwei-Prozent-Orientierung verteidigen“

AGI-Investmentstratege hält Erhöhung des Inflationsziels der EZB für „sehr gefährlich“

Die Inflation im Euroraum könnte inzwischen strukturell höher sein als noch vor der Pandemie. Deswegen das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) anzuheben, ist für Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors, dennoch der falsche Weg – ebenso wie zusätzliche EZB-Mandate.

fed/mpi Frankfurt

Einiges spricht dafür, dass die Inflation inzwischen höher ist als noch vor einigen Jahren. Der demografische Wandel, die grüne Transformation der Wirtschaft, die Fragmentierung im Welthandel und die Remilitarisierung vieler europäischer Volkswirtschaften als Antwort auf die zahlreichen geopolitischen Krisen könnten den Preisdruck erhöhen. „Wir sehen wenig Anhaltspunkte dafür, dass wir uns wieder auf eine Welt zubewegen, in der die Inflationsrate nachhaltig nicht höher als 2% ausfällt“, sagt Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors (AGI), im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Der Inflationssockel wird dauerhaft eher über 2% liegen.“

Die Schlussfolgerung aus der höheren strukturellen Inflation ist für einige Ökonomen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) künftig ein höheres Inflationsziel als 2% haben sollte. Ein Vorschlag, bei dem Mainert nicht mitgeht. „Noch scheint der Anker von 2% präsent. Das aufs Spiel zu setzen, halte ich für sehr gefährlich“, sagt er. Ein höheres Inflationsziel sei sozial ungerecht, da eine hohe Teuerung sozial Schwache stärker treffe als Reiche. „Deshalb sollte man meiner Meinung nach die Zwei-Prozent-Orientierung maximal verteidigen.“

Diskussion um neues Mandat für EZB

Auch die Diskussion um eine Erweiterung des EZB-Mandats hat zuletzt an Fahrt aufgenommen. Den Stein ins Rollen gebracht hat eine Rede des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. Darin schlug er vor, dass die Notenbank neben der Preisstabilität auch ein Ziel für das Wirtschaftswachstum in der Eurozone haben könnte. Auch ein spezifisches Klimaziel ist für Macron eine Option.

„Eine Debatte darüber ist gefährlich“, findet Mainert. „Denn es ist sehr riskant, gerade jetzt, da Preisstabilität noch längst nicht gewährleistet ist, über zusätzliche offizielle Ziele der EZB zu diskutieren. Das könnte eine Überforderung weiter manifestieren.“ Erst wenn das Ziel der Preisstabilität „vollständig und nachhaltig“ erfüllt sei, könnte sich die EZB möglichen Nebenzielen zuwenden.

Dass die Inflation im Euroraum in naher Zukunft nachhaltig auf den Zielwert sinkt, ist für den AGI-Investmentexperten noch längst keine ausgemachte Sache. Im Gegenteil, Mainert hält angesichts des starken Lohnwachstums und der zunehmenden Rohstoffpreise leichte negative Überraschungen bei der Inflation für wahrscheinlich.

Vorsichtige EZB

Aus diesem Grund und auch weil sich die Konjunktur der Eurozone langsam erholt, geht er nicht von einer zweiten Zinssenkung im Juli aus. Der Beginn der Zinswende der EZB an diesem Donnerstag gilt als ausgemachte Sache. „Wir gehen davon aus, dass die EZB nach ihren sehr klaren Ankündigungen im Juni die Zinsen senkt. Und wir prognostizieren im weiteren Jahresverlauf noch ein bis zwei weitere Zinsschritte nach unten“, sagt Mainert. Mit dieser Prognose bildet er den derzeitigen Konsens am Finanzmarkt ab.

Bezüglich der Kommunikation der Notenbank an diesem Donnerstag erwartet er, dass die EZB versucht, die Erwartungen an einen Zinsschritt im Juli zu dämpfen. „In dem Sinne: Das ist keine Serie von Zinssenkungen. Sondern wir werden die Zinsen als Einzelfallentscheidung jeweils dann senken, wenn es die Daten angeraten erscheinen lassen.“ September und/oder Dezember hält Mainert für mögliche Zeitpunkte weiterer Zinssenkungen. Im Rahmen dieser beiden geldpolitischen Sitzungen erscheinen neue Projektionen der Notenbank zu Inflation und Wirtschaftswachstum. Jüngst hatten mehrere EZB-Ratsmitglieder die Bedeutung der eigenen Prognosen für die Ausrichtung der Geldpolitik betont.

Im Interview mit der Börsen-Zeitung hatte der französische Notenbankpräsident François Villeroy de Galhau die Projektionen als einen der drei „Kompasse“ bezeichnet, anhand derer die EZB ihre Geldpolitik steuern könnte. „Die Inflationsaussichten und unsere Prognosen sind nun wieder mindestens genauso wichtig wie die tatsächlichen Monatsdaten“, sagte das einflussreiche EZB-Ratsmitglied.

US-Geldpolitik nicht so restriktiv

Für die USA erwartet Mainert frühestens im September eine erste Zinssenkung. Dass die EZB dieses Mal früher dran sein dürfte mit der Zinswende als die Fed, hängt mit der hartnäckigeren Inflation und der besser laufenden Wirtschaft in den USA zusammen. Mainert führt aber auch noch einen anderen Grund an: die Fremdfinanzierungsstrukturen.

Während in der Eurozone rund 70% der Finanzierungen über Bankkredite laufen und nur 30% über die Kapitalmärkte, sei die Lage in den USA genau andersherum. Dort machten marktbasierte Finanzierungen etwa 70% aus. „Das hat zur Folge, dass die Geldpolitik in Euroland über die Kreditvergabe aktuell schneller, direkter und deutlicher restriktiv wirkt“, führt Mainert aus. „Diesen Restriktionsgrad will die EZB verringern.“ Einen ersten Schritt dahin wird es aller Voraussicht nach am Donnerstag geben. Bis die Geldpolitik der EZB nicht mehr restriktiv wirkt, wird es jedoch noch lange dauern.

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Porträt Ingo Mainert

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