Umfrage der Börsen-Zeitung

Ökonomen misstrauen Zuversicht der EZB

Die Konjunkturprognose der EZB ist zu optimistisch, meinen Ökonomen im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Der starke Einbruch der ZEW-Konjunkturerwartungen gibt dieser Einschätzung Auftrieb. Auch bei der EZB-Prognose zu den Löhnen melden manche Volkswirte Zweifel an.

Ökonomen misstrauen Zuversicht der EZB

Ökonomen misstrauen Zuversicht der EZB

Zweifel an positivem Konjunkturausblick – ZEW-Barometer zeichnet düsteres Bild

mpi Frankfurt

Ökonomen äußern in Gesprächen mit der Börsen-Zeitung Zweifel an der aktuellen Konjunkturprognose der EZB und erwarten eine Revision nach unten im September. „Die Gefahr ist groß, dass die Konjunkturprognose der EZB zu optimistisch war und ist“, sagt ING-Chefökonom Carsten Brzeski. „Im Grunde genommen erwartet die EZB nun schon lange, dass die Konjunktur in kürzester Zeit wieder zum Potenzialwachstum zurückkehrt. Leider muss sie diesen Zeitpunkt regelmäßig verschieben.“

ZEW-Konjunkturerwartungen brechen ein

Neue Nahrung erhält diese pessimistische Einschätzung von den ZEW-Konjunkturerwartungen, die im August eingebrochen sind. Das Barometer für die Aussichten in den kommenden sechs Monaten rutschte um 22,6 auf 19,2 Punkte ab, das ist der kräftigste Rückgang seit zwei Jahren. „Schraubt die EZB ihre Konjunkturerwartungen zurück, werden ihr Leitzinssenkungen leichter fallen“, meint Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Er erwartet wie die meisten eine Zinssenkung der EZB im September.

Diese halten jedoch nicht alle von der Börsen-Zeitung Befragten auch für den richtigen Schritt. Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors, hält eine Lockerung angesichts des hohen Lohnwachstums für „schwierig begründbar“. Er spricht gar von einer „Lohn-Dienstleistungspreis-Spirale“. Auch Brzeski sagt: „Die EZB scheint mir bei der Lohnentwicklung etwas zu entspannt.“ Ohne eine stärkere Rezession dürfte das Lohnwachstum auch 2025 hoch bleiben.

Debatte um Lohnentwicklung

Die EZB setzt bei ihrer Inflationsprognose darauf, dass das Lohnwachstum in der Eurozone in den kommenden Monaten und vor allem 2025 spürbar nachlasst. In den deutschen Daten ist davon bislang noch nichts zu sehen. Die Tariflöhne sind nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) im ersten Halbjahr nominal um 5,6% und real um 3,1% gestiegen. Für 2024 rechnet die HBS mit keinem nachlassenden Lohnwachstum in der größten Volkswirtschaft der Eurozone.

Einige Ökonomen teilen jedoch den Optimismus der EZB bei der Lohnentwicklung. Christian Lips, Chefvolkswirt der Nord/LB, erwartet ein Nachlassen der Lohndynamik zumindest ab 2025. „Die gute Botschaft ist, dass die jüngsten Abschlüsse vor allem als Kompensation für vergangene Inflation zu sehen sind und nicht etwa mit hohen Inflationserwartungen begründet werden.“ Silke Tober, Leiterin des Referats Makroökonomische Grundlangenforschung und Geldpolitik des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), sieht in der Lohnentwicklung kein Warnsignal für die EZB. Es liege keine Überhitzung am Arbeitsmarkt vor.

Berichte Seite 9

Die Antworten der Befragten im Wortlaut:

Christian Lips, Chefökonom der Nord/LB: „Eine kleine Zinssenkung der EZB im September erscheint angemessen“

Carsten Brzeski, Chefökonom der ING: „Die EZB scheint mir bei der Lohnentwicklung etwas zu entspannt“

Alexander Krüger, Chefökonom der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank: „Die Inflationsrisiken lauern von allen Seiten“

Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors (AGI): „Man kann wohl von einer Lohn-Dienstleistungspreis-Spirale sprechen“

Silke Tober, Leiterin des Referats Makroökonomische Grundlagenforschung und Geldpolitik des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung: „Die Risiken für die Finanzmarktstabilität sind hoch“

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