Volkskongress

Peking lehnt sich bei Wachstumsziel weit aus dem Fenster

Der Bedarf an fiskalischer und geldpolitischer Stimulierung scheint hoch. Die Verschuldungsrisiken wachsen. Der Außenhandel ist ins Stocken geraten.

Peking lehnt sich bei Wachstumsziel weit aus dem Fenster

nh Schanghai

Chinas Regierungsspitze hat zum Auftakt des jährlichen Volkskongresses ein offizielles Wachstumsziel für 2022 in Höhe von „etwa 5,5%“ verkündet. Die Vorgabe wirkt auf den ersten Blick konservativ und bescheiden, schließlich hat China, den Corona-Schock 2020 außen vor, seit den frühen 90er Jahren stets ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von mehr als 6% vorlegen können. China-Ökonomen blicken dennoch etwas skeptisch auf die neue Marke.

Chinas Wachstumsziele sind als Mindestvorgaben gedacht, und mit der Formulierung „etwa“ verbindet sich eine Abweichung von 0,1 oder höchstens 0,2 Prozentpunkten. Bei den gegenwärtigen Prognosen für das BIP-Wachstum im Jahr 2022 stellen 5,5% aber bereits den oberen Rand in der Erwartungsskala dar, während zahlreiche Schätzungen, darunter nicht zuletzt die des Internationalen Währungsfonds (IWF), bereits auf einen Wert knapp unterhalb der 5-%-Marke hinauslaufen.

2021 war das Wachstumsziel bei 6% oder mehr abgesteckt worden und spielte damit praktisch keine Rolle, weil aufgrund statistischer Basiseffekte eine Wachstumsrate von mindestens 8% absehbar war. Chinas Wirtschaftsplaner legten stets Wert auf eine ambitiöse Zielmarke, um die Lokalregierungen auf Trab zu halten und grundsätzlich zu vermeiden, dass eine schwache Vorgabe den Charakter einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung annimmt. Nun hat man sich also erneut darauf verständigt, mit Optimismus an die Sache heranzugehen und den Erwartungsdruck hoch zu halten.

Gerade vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges will Peking mit der Botschaft an den Rest der Welt herantreten, dass das Reich der Mitte gerade in wirtschaftlich höhst unsicheren Zeiten die Rolle der unverzichtbaren globalen Wachstumslokomotive zu spielen vermag. Dazu bedarf es allerdings nach Ansicht der Experten gewaltiger Anstrengungen in Sachen fiskalischer und geldpolitischer Stimuli, die der Kontrolle von Finanzstabilitätsrisiken und grassierenden Verschuldungsgefahren im privaten und staatlichen Unternehmenssektor zuwiderlaufen könnten.

Tatsächlich hat sich Peking bei der Defizitquote, also dem Anteil des laufenden Budgetdefizits am BIP, mit 2,8% auf eine sehr konservative Marke verständigt. 2021 waren es 3,1%. Möglich ist das nur, weil neue Sonderanleihen-Kontingente für Lokalregierungen in die Berechnung der Defizitquote nicht eingehen, obwohl sie natürlich dennoch zu Verschuldungsrisiken beitragen.

Als besonders problematisch für das Erreichen des Wachstumsziels könnte sich eine vom Ukraine-Krieg heraufbeschworene Eintrübung des Welthandels erweisen, die auch den Exportweltmeister China erfasst. Im vorigen Jahr hat die überaus dynamische Exportkonjunktur einen wesentlichen Beitrag zu Chinas Wachstum geleistet. Daran wird man kaum mehr anknüpfen können.

In den ersten zwei Monaten des Jahres haben die Exporte offiziellen Zahlen zufolge um 16,3% sowie die Importe um 15,5% gegenüber der Vorjahresperiode angezogen. Das wirkt zwar noch sehr robust, bedeutet aber praktisch eine Halbierung des Wachstums im vergangenen Jahr. Unter Berücksichtigung von möglichen kriegsbedingten Handelsverwerfungen in den kommenden Monaten wird es für China enorm schwierig sein, den Dynamikverlust mit anderen Wirtschaftstreibern zu kompensieren und beim neuen Wachstumsziel auf Kurs zu bleiben.

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