Pekings Handelspolitik mit Moskau

Peking nutzt russische Abhängigkeit aus

Peking nutzt Moskaus Abhängigkeit schamlos aus und brüskiert dessen Führung. Während die Europäer noch vor Ort investierten, wollen die Chinesen nur verkaufen und superbillig an Rohstoffe kommen.

Peking nutzt russische Abhängigkeit aus

Russland hat sich mit China verkalkuliert

Während die Europäer noch vor Ort investierten, wollen die Chinesen nur verkaufen und superbillig an Rohstoffe kommen

Von Eduard Steiner, Moskau

Mit dem Ukraine-Krieg und den westlichen Sanktionen hat China Europa als größten Handelspartner Russlands abgelöst. Und das nutzt China gerne aus. Mit seinem Eigeninteresse und seiner Härte brüskiert Peking die Russen immer wieder und bringt sie in eine schier ausweglose Situation. Ein aktueller Fall markiert einen neuen Höhepunkt in einer Reihe von Verwerfungen.

Die britische „Financial Times“ hatte mit Verweis auf drei Insider berichtet, dass Russlands Versuche, mit China ein Abkommen über den Bau der riesigen Gasexportpipeline „Power of Siberia 2“ von der arktischen Halbinsel Jamal bis nach China zu finalisieren, vorerst gescheitert seien. China nämlich wolle sich nur zum Kauf eines kleinen Teils der geplanten Pipelinekapazität von 50 Mrd. Kubikmeter pro Jahr verpflichten. Und wolle obendrein nur einen Preis zahlen, der nah an dem stark subventionierten innerrussischen Gaspreis liege.

„Wenn die Information stimmt, was sehr wahrscheinlich ist, wollen die Chinesen, dass der russische Steuerzahler für ihr importiertes Gas zahlt“, bringt es Michail Krutichin, Partner des Moskauer Beratungsunternehmens Rusenergy, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung auf den Punkt. „Einem solchen Preis konnte der Gaskonzern Gazprom einfach nicht zustimmen“.

Gazprom braucht den Deal

Dabei braucht Gazprom den Deal dringend. Aber nicht unbedingt, um zusätzliche Gasvolumina nach China zu bringen und so den großflächigen Wegfall der traditionellen europäischen Kunden, der im Jahr 2023 zum ersten Konzernverlust in Milliardenhöhe seit über einem Vierteljahrhundert führte, wettzumachen. Das wäre mit den preisbewussten chinesischen Kunden allein ohnehin nicht machbar. Gazprom braucht den Deal vor allem deshalb, um die 2014 und 2022 abgeschlossenen zwei Lieferverträge über insgesamt 48 Mrd. Kubikmeter auf 30 Jahre endlich erfüllen zu können, wie Krutichin erklärt. Schon vor einigen Jahren nämlich sei durchgesickert, dass die zwei ostsibirischen Großlagerstätten, aus denen China über eine schon bestehende Pipeline bedient wird, technisch fehlerhaft erschlossen worden seien und daher weniger Gas erbringen als angenommen. „China hat nun alle Trümpfe in der Hand, und Gazprom ist in einer ausweglosen Situation“.

Der Fall „Power of Siberia 2“ zeigt eindringlich, wie stark Chinas Position gegenüber Russland seit dem Ukraine-Krieg geworden ist. Und er deutet gleichzeitig die Grenzen an, die China für das rasante wirtschaftliche Zusammenwachsen mit seinem Nachbarn aufstellt. Von 2020 bis 2023 hat sich das bilaterale Handelsvolumen auf den Rekordwert von 241 Mrd. Dollar mehr als verdoppelt, sodass China bereits 36,5% des russischen Warenimports und 30,5% des russischen Warenexports auf sich vereinigte. Hatte Russland über die Jahre vor allem den Export von Öl, Gas und Metallen gesteigert, liefert China im Gegenzug Technologie, Autos, Anlagen und Elektronik.

Moskaus Abhängigkeit nimmt zu

Darauf ist Moskau auch angewiesen, nachdem der Westen als Lieferant weggefallen war. Russlands Schwenk nach China hat sogar die Logistikkapazitäten dorthin an ihre Grenzen gebracht, sodass Russland nun forciert in ihre Erweiterung investieren muss. China wird dafür aber kein Geld in die Hand nehmen. China nütze die Gunst der Stunde, da die Russen isoliert seien, um seine Waren auf diesen neuen Markt bringen zu können, den es „quasi auf dem Tablett serviert bekommt“, sagt Igor Lipsic, Co-Gründer der Moskauer Higher School of Economics, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Aber im Unterschied zu den Europäern bis 2022 werden die Chinesen wohl kaum in Russland investieren.“

Das taten sie schon vor 2022 kaum. Die letzten verfügbaren Daten der russischen Zentralbank zeigen, dass der Bestand der chinesischen ausländischen Direktinvestitionen (FDI) in Russland mit Ende 2021 nur 3,3 Mrd. Dollar ausmacht – weniger als 1% aller FDI in Russland. Zwar sei der Prozentsatz in Wirklichkeit höher, weil chinesisches Geld ja auch über Offshore-Zonen hereinkomme, wie Janis Kluge von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik schreibt. Aber „chinesische Unternehmen bleiben bei Investitionen in Russland zurückhaltend“. Die Gründe: Der Markt sei zu klein, zu unattraktiv und trage ein zu hohes Länderrisiko für chinesische Konzerne, die zudem keine Erfahrung dort hätten. Auch sei Russland traditionell kein Produktionsstandort für den Export. Und seit 2022 käme durch die Sanktionen noch das Risiko, sich selbst Sekundärsanktionen seitens des Westens aufzuhalsen.

Kein einziges Investitionsprojekt

Seit Kriegsbeginn sei kein einziges großes Investitionsprojekt in Angriff genommen worden, schreibt Kluge. „Der Mangel an chinesischen Investitionen ist enttäuschend für Moskau, das auf ein stärkeres chinesisches Engagement gehofft hatte, nachdem westliche Unternehmen Russland in Scharen verlassen hatten.“

Am augenfälligsten ist dies auf dem Autosektor in Russland, wo die Chinesen den Platz der Europäer eingenommen haben. Mit Zuwachsraten von bis zu 160% bei einzelnen Autobauern im ersten Quartal dominieren sie heute gemeinsam mit russischen Herstellern den Markt, lassen sich aber auch hier nicht zu größeren Investitionen hinreißen. „Im Autosektor wird das Maximum sein, dass die Chinesen die importierten Bestandteile in Russland zusammenbauen“, sagt Ökonom Lipsic.

So wirken die Chinesen wohl oder übel auch an einem Prozess mit, den Wladimir Inosemcev aktuell als eines der größten Probleme Russlands erachtet: die Deindustrialisierung. Es gehe um Industrien wie den Autosektor oder das zivile Flugwesen, die von westlichen Investoren gelebt hätten, sagte der Direktor des Moskauer Zentrums zur Erforschung postindustrieller Gesellschaften, kürzlich im Interview der Börsen-Zeitung. „China wird den Westen hier nicht ersetzen, weil es keine Fabriken in Russland bauen wird. Viele gut entwickelte Sektoren in Russland werden sterben.“

Huawei bremst in Russland

Mehr noch: Während Chinesen erhoffte Investitionen nicht tätigen, ziehen sie bestehende sogar ab. Techkonzerne wie Huawei, die von 2018 an stärkere Verbindungen aufgebaut hatten, weil ausreichend IT-Spezialisten zur Verfügung standen, fuhren ihr Engagement nach Beginn des Ukraine-Kriegs drastisch herunter. Auch weil die USA im Kampf gegen den Export militärisch verwendbarer Güter nach Russland Unternehmen mit Sekundärsanktionen bedrohen.

Derweil war der russische Geheimdienst zuletzt noch ausgiebig damit beschäftigt, Wissenschaftler festzusetzen, weil sie für China spionierten. Das betraf vorwiegend die Rüstungsindustrie. China war lange Zeit Großeinkäufer russischer Waffen und bekam mit zunehmender Isolation Russlands auch immer modernere Waffen von dort. Heute würde umgekehrt Russland mehr Komponenten und Waffen aus China brauchen.

„Die Chinesen wollen keinesfalls das Risiko eingehen, mit einer etwaigen Verletzung der Sanktionen das Verhältnis mit den USA zu trüben“, sagt Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Professorin für Sinologie an der Universität Wien. Ein Abkommen mit Gazprom für den Bau der neuen Gaspipeline „Power of Siberia 2“ wäre allerdings gar nicht so ein Risiko. Hier halten die Chinesen aus finanziellem Kalkül und im ureigenen Interesse die Russen hin, zumal sie ausreichend andere Gasquellen – auch den russischen Gazprom-Konkurrenten und Flüssiggasproduzenten Novatek haben, an dessen Projekten sie sogar beteiligt sind. Der stark subventionierte innerrussische Gaspreis, den Peking angeblich durchsetzen möchte, beträgt laut Gasexperte Krutichin maximal 120 Dollar je 1.000 Kubikmeter. Für das aktuell dort gekaufte Gas zahlen die Chinesen etwa 260 bis 290 Dollar. Und selbst das ist weniger als halb so viel, wie sie manch anderer Lieferant erhält.

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