Plädoyer für einfachere Erwerbszuwanderung
Der Mangel an Fachkräften, der die deutsche Wirtschaft bereits heute vor Probleme stelle, werde sich in den kommenden Jahren absehbar verschärfen, zumal das Erwerbspersonenpotenzial sinke – so lautete die Mahnung von Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrats zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung anlässlich der Diskussionsveranstaltung „Bessere Bildung, bessere Wirtschaft“ in Frankfurt. Die vom Bundesverband deutscher Volks- und Betriebswirte und der Industrie- und Handelskammer Frankfurt eingeladenen Podiumsteilnehmer diskutierten Möglichkeiten, wie die Politik durch Weichenstellungen für Zuwanderung und Weiterbildung auf den Mangel an Fachpersonal reagieren kann.
Dass es einen Engpass gebe, sei unter anderem daran spürbar, dass selbst Ungelernte fehlten und dass sich die Zeit zur Suche geeigneter Bewerber für offene Stellen zwischenzeitlich auf im Schnitt 120 Tage verdoppelt habe, berichtete der Wirtschaftsweise. Werding rechnete vor, dass eine Nettozuwanderung von 400000 Personen pro Jahr notwendig sei, um die Lage am Arbeitsmarkt zu stabilisieren. Das entspreche brutto einer Zuwanderung von mehr als einer Million Menschen. Da sich Deutschland nicht auf die Migration von Arbeitskräften aus dem EU-Ausland verlassen könne, sei es wichtig, dass die Erwerbszuwanderung aus Drittstaaten politisch erleichtert werde. Werding plädierte beispielsweise dafür, die so genannte Westbalkanregelung, die die Schwellen und Hindernisse für Einwanderung reduziert, auch auf andere Staaten außerhalb Südosteuropas anzuwenden. Denn die bisherigen Erfahrungen mit einem Regime ohne explizite Qualifizierungsanforderungen seien gut, da es in der Realität trotzdem zum Zuzug auch qualifizierter Arbeitskräfte führe.
Brigitte Scheuerle, für Aus- und Weiterbildung zuständige Geschäftsführerin der IHK Frankfurt, gab zu bedenken, dass es sehr viele „Bildungsverlierer“ gebe, die nicht über ausreichende Voraussetzungen verfügten, um in Unternehmen eingesetzt zu werden oder weitergehende Bildungswege anzutreten. Sie schlug damit die Brücke zum zweiten Thema des Abends, der finanziellen Bildung. Dass es hier erheblichen Verbesserungsbedarf gebe, wurde von keinem Teilnehmer der Veranstaltung in Abrede gestellt. So vertrat etwa Frankfurts IHK-Präsident Ulrich Caspar die Einschätzung, die Bedeutung der Wirtschaft werde im Kanon der Schulfächer nicht angemessen abgebildet. Schüler würden auf wichtige finanzielle Entscheidungen, die sie in den Jahren des Berufsstarts treffen müssten, nicht ausreichend vorbereitet.
Simone Rechel, stellvertretende Vorsitzende der Wirtschaftsjunioren, unterstrich, aus ihrer Sicht bestehe die Aufgabe darin, nicht nur die Schüler fit zu machen für finanzielle Bildung, sondern zunächst einmal die Lehrer. Digitalisierung müsse sich stärker in der Lehrerqualifikation widerspiegeln. Und selbst wenn Informatik als Schulfach eingeführt werde, entbinde das die Lehrer anderer Fächer keineswegs davon, sich mit Digitalisierung zu befassen und sie in ihren Unterricht zu integrieren.
Ines Claus, die Fraktionschefin der CDU im hessischen Landtag, betonte, wie wichtig es sei, dass es in Hessen mittlerweile das pilotierte Schulfach „Digitale Welt“ gebe und das Schulfach „Politik und Wirtschaft“ durchgängig von Klasse 5 bis 13 in den Lehrplänen stehe. Der hessische Grünen-Fraktionsvorsitzende Mathias Wagner argumentierte, die Voraussetzungen seien zwar geschaffen, nun bestehe die Herausforderung aber in der Umsetzung – etwa wenn es darum gehe, dem Thema Wirtschaft in der Schule tatsächlich mehr Gewicht zu geben.
Kontrovers debattiert wurde die Frage, ob Lehrer unbedingt eine ökonomische Ausbildung bräuchten. Sven Schumann, Co-Vorsitzender des Bündnisses ökonomische Bildung in Deutschland beklagte, dass man PoWi-Lehrer werden könne, ohne Wirtschaft studiert zu haben. Dem hielt der Landtagsabgeordnete Wagner entgegen, dass es vor allem darum gehe, Schüler für Wirtschaft zu begeistern – und diese Aufgabe gehe weit über das hinaus, was ein Fachstudium liefere.
Ines Schiller, Mitglied im Präsidium des Bundesverbands deutscher Volks- und Betriebswirte, plädierte dafür, das Modell der Schülerfirmen auszuweiten. Zunehmend fänden sich Praxispartner, die beteiligte Schüler anschließend übernähmen, beispielsweise als Werkstudenten. Dem stimmte als Vertreter der Schülerschaft Harrison Krampe zu, stellvertretender Stadtschulsprecher in Frankfurt. Er kritisierte die zu starke theoretische Ausrichtung des Themas Wirtschaft in der Schule: „Der Praxisbezug fehlt.“ Er wünsche sich zum Beispiel, dass die Frage, wie man als Unternehmer konkret Preise kalkuliere, Bestandteil des Unterrichts werde.