CursivZukunft der Eurozone

Populistische Erpressung Europas

Frankreichs radikale politische Kräfte steuern auf eine Mega-Verschuldung hin und kalkulieren die „Rettung“ gleich mit ein, warnt Ifo-Chef Clemens Fuest. Die Zukunft der Eurozone hängt am seidenen Faden.

Populistische Erpressung Europas

Populistische Erpressung Europas

Von Stephan Lorz, Frankfurt

Frankreichs radikale politische Kräfte steuern auf eine Mega-Staatsverschuldung zu und kalkulieren die „Rettung“ gleich mit ein. Die Zukunft der Eurozone hängt am seidenen Faden.

Es ist ein „tückisches Thema“, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest im Airport Club in Frankfurt, als die Rede auf das Erstrundenergebnis der französischen Parlamentswahlen kommt. Denn daran hängt seiner Meinung nach auch die Zukunft Europas und insbesondere der Eurozone. Und die Gefahr sei groß, dass alles ins „Negative“ abrutsche, weil die Politik den Blick nur auf die genuin politische Dimension der politischen Entwicklung im Nachbarland richte: Rechtsruck, Linksruck, Drittelung der politischen Lage, Unregierbarkeit, Stillstand.

„Das Böse“ aus dem Ausland

Und tatsächlich hilft ein Blick in die Parteiprogramme oder auf die Äußerungen des rechtsradikalen Rassemblement National (RN) und des Linksbündnisses Nouveau Front Populaire unter der Führung der linksradikalen Partei La France Insoumise, dass – egal ob links- oder rechtsextrem – sie in einer ganzen Reihe von Standpunkten einig sind: Sie setzen sich quasi gemeinsam ein für höhere Staatsausgaben, höhere Sozialausgaben und höhere Unternehmenssteuern, sprechen sich allgemein für höhere Gehälter aus, verlangen ein Ende des Green Deal der EU und eine Rückkehr zu fossilen Energien und geloben eine Rücknahme der Rentenreform und damit die Wiedereinführung der Frühverrentung. Letzteres ist vor allem eine Konzession an die Gelbwesten-Proteste bis vergangenes Jahr.

Obendrein werden – wie in den allermeisten autoritären Regierungsformen üblich – alle politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme auf das Ausland geschoben oder ausländische Einflüsse dafür verantwortlich gemacht. Das eigene Land ist immer Opfer, das eigene Tun nie die Ursache der Schwierigkeiten. Stattdessen werden fallweise Brüssel oder die EU, Deutschland oder der amerikanische Imperialismus oder ganz allgemein der Markt an und für sich als „Täter“ ausgemacht und gebrandmarkt.

Rechnet man die ökonomischen Forderungen zusammen, so kalkuliert Ifo-Chef Fuest mit einem Anstieg der Schuldenquote Frankreichs auf „mindestens 160% des Bruttoinlandsprodukts (BIP)“. Und das, so seine Sorge, werde zum Teil auch dann eintreffen, wenn Staatspräsident Emmanuel Macron mit seiner Mitte-Regierung auf die Linksparteien zugeht, um den RN zu verhindern. Denn Macron werde Zugeständnisse machen müssen. Fuest: „In allen Szenarien steigt die Verschuldung Frankreichs dramatisch an.“

Märkte reagieren verhalten

Dass die Märkte bisher darauf nur verhalten reagiert haben, liegt Fuest zufolge nur an einem Grund: Sie gehen davon aus, dass – wie im Falle Griechenlands – die EZB, die EU und letztlich auch die Bundesregierung eine große Schulden- und Eurokrise unter allen Umständen verhindern wollen und Frankreich bei ansteigenden Anleihezinsen unter die Arme greifen werden. Fuest: „Zahlmeister sind dann eben nicht die Französinnen und Franzosen, wie das in der Bundesregierung wohl noch gesehen wird, sondern alle Euro-Europäer und vor allem die Deutschen.“ Und das dürfte die Debattenlage in Berlin insgesamt ändern, wenn es auch um den deutschen Haushalt, Schuldenbremse und europäische Schuldenregeln geht.

Fuest spricht von einer „populistischen Erpressung“ mit dem Kalkül, dass „die anderen Europäer schon nicht zulassen können, wenn ein anderes Euro-Land – und noch dazu ein großes – zerplatzen könnte“. Und auch Macron dürfte in diesem Sinne argumentieren: „Wenn ihr nicht helft, kommen die Rechtsradikalen.“ Eine solche Haltung fällt Paris womöglich auch leichter als Berlin, denn Frankreich hält schon jetzt die Defizitvorgaben nicht ein und tut entsprechende Schuldzuweisungen und Vorgaben mit einem Schulterzucken ab.

Erneut, so Fuest, kämen jetzt die alten „Webfehler“ der Eurozone zum Vorschein: Die No-Bail-out-Klausel, also die Vorgabe, keinem Land unmittelbar aus seinen Schuldenproblemen herauszuhelfen, es quasi „herauszukaufen“, sei von Anfang an unglaubwürdig gewesen. Und trotzdem habe die Politik daran festgehalten und daran geglaubt. Nur die Märkte hätten eine realistische Sichtweise an den Tag gelegt – und würden gegebenenfalls erzwingen, was die Politik nicht wahrhaben oder ihren Bürgern sagen will, erwartet der Ifo-Chef.

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