Russland dreht ersten EU-Staaten den Gashahn zu
ahe/est Brüssel/Wien
Der staatliche russische Gaskonzern Gazprom hat die Lieferungen an Bulgarien und Polen vorerst vollständig eingestellt und dies mit ausbleibenden Zahlungen in Rubel begründet. Andere Länder der EU waren von dem Gaslieferstopp nicht betroffen. „Derzeit ist die Versorgungssicherheit hier gewährleistet“, teilte auch das Bundeswirtschaftsministerium am Mittwoch mit. Die Gasflüsse seien alles in allem stabil.
In der EU herrschte Empörung über die erneute Eskalation der Auseinandersetzungen mit Moskau. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von „Erpressung“ und einer „weiteren Provokation des Kremls“. Man sei aber auf einen solchen Schritt vorbereitet und werde sicherstellen, dass die Auswirkungen auf die europäischen Verbraucher so gering wie möglich blieben.
Bulgarien und Polen erhalten nun zunächst Erdgas von ihren EU-Nachbarländern. Die französische Ratspräsidentschaft will rasch eine Sondersitzung der EU-Energieminister einberufen, um die weiteren Schritte zu besprechen. Von der Leyen kündigte zugleich an, die EU-Kommission werde die Pläne für einen grünen Übergang noch beschleunigen. Überlegungen hierzu würden Mitte Mai vorgestellt. „Jeder Euro, den wir in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investieren, ist eine Anzahlung auf unsere künftige Energieunabhängigkeit“, sagte die CDU-Politikerin.
Hintergrund des Lieferstopps sind die von Russland eingeführten neuen Regeln, wonach Gaslieferungen in Rubel bezahlt werden müssen. Kunden müssen demnach bei der Gazprombank zwei Konten anlegen. Sie zahlen in Euro auf das eine Konto, der Betrag wird dann auf ein zweites Konto in Rubeln transferiert. Die EU-Kommission hatte diesen Weg nach einer Prüfung eigentlich für grundsätzlich akzeptabel erklärt. Von der Leyen stellte am Mittwoch aber auch klar, dass es gegen EU-Sanktionen verstoße, in Rubel zu zahlen, wenn dies nicht im Vertrag vorgesehen sei. Etwa 96% der Verträge in der EU sähen explizit Zahlungen in Euro oder Dollar vor. „Die Forderung der russischen Seite, in Rubel zu zahlen, ist eine einseitige Entscheidung und entspricht nicht den Verträgen“, sagte sie nun.
Abhängigkeit gesunken
Die bulgarische Regierung hatte erklärt, alle Zahlungen, die der Vertrag erforderlich mache, seien rechtzeitig getätigt worden. Auch die Bundesregierung will – wie in den Verträgen festgelegt – weiter in Euro und Dollar bezahlen. Im vergangenen Jahr bezog Deutschland noch 55% seines Erdgases aus Russland. Der Anteil liegt laut Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mittlerweile nur noch bei 35%. Der Lieferstopp nach Polen und Bulgarien zeige, dass es Moskau ernst meine und bereit sei, den Gashahn zuzudrehen, sagte Habeck in Berlin: „Wir müssen das total ernst nehmen.”
Polen wurde bisher über die Jamal-Pipeline beliefert, die von Russland über Belarus verläuft und bis ins brandenburgische Mallnow, wo das Gas übernommen und Richtung Westeuropa weitergeleitet wird. Allerdings hat die Bedeutung der Verbindung abgenommen. Nach Zahlen der Netzagentur floss durch Jamal in den vergangenen Wochen wenig oder kein Gas mehr nach Deutschland. Wichtigste Verbindung zwischen Russland und Deutschland ist aktuell die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, die Polen und Belarus umgeht (siehe Grafik).
Das offizielle Russland verwahrt sich gegen Vorwürfe, es würde sich beim Stopp der Gaslieferungen um eine Erpressung handeln. Russland sei ein zuverlässiger Lieferant und habe im Falle Polens und Bulgariens nur das im Vormonat erlassene Dekret des Staatspräsidenten angewendet, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Gegen etwaige Risiken für das Staatsbudget habe man sich gewappnet.
Paradoxerweise aber steht derzeit ohnehin weniger ein Einkommensverlust bevor als vielmehr sogar ein Sonderprofit durch den Lieferstopp. Die Gaspreise könnten allein durch Moskaus Ankündigung in den kommenden Tagen sogar noch ein Stück weiter steigen, meint etwa Walter Boltz, Energieberater und bis vor kurzem Chef der Gasarbeitsgruppe in der Agentur der Europäischen Energieregulatoren (ACER).
Normalerweise ist der Ölexport für das russische Budget viermal wichtiger als der Gasexport. Weil Öl seit dem Ukraine-Krieg aber nur mit großen Abschlägen verkauft werden kann und der Gaspreis seit dem Vorjahr hochgetrieben wurde, waren zuletzt die Gaseinkünfte plötzlich sogar bedeutender, wie Michail Krutichin, Experte des Moskauer Beratungsunternehmens Rusenergy, auf Anfrage der Börsen-Zeitung sagte.