Russland dreht Gashahn weiter zu
BZ Berlin
Russland hat die seit Ende Juni reduzierten Gaslieferungen nach Westeuropa am Mittwoch wie angekündigt noch einmal heruntergefahren. Der russische Energiekonzern Gazprom drehte den Gashahn der Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Angaben des deutschen Netzwerkbetreibers Gascade auf 1,28 Mill. Kubikmeter pro Stunde zu und halbierte damit die ohnehin schon eingeschränkten Lieferungen der vergangenen Tage. Laut Bundesnetzagentur flossen durch die Leitung noch 19,5% der möglichen Kapazität. Die Versorgungslage sei angespannt, eine weitere Verschlechterung könne nicht ausgeschlossen werden, teilte die Behörde mit. Unternehmen und private Verbraucher müssen sich auf deutlich steigende Gaspreise einstellen, hieß es im aktuellen Lagebericht.
Die Bundesregierung verurteilte die erneut gekürzten Gaslieferungen als Teil eines Machtspiels des Kremls im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Moskau wies Kritik zurück, wonach die Drosselung der Gaslieferungen ein Druckmittel sei, um ein Ende der Sanktionen zu erzwingen, die der Westen nach der russischen Invasion in die Ukraine eingeführt hatte. Der Rückgang der Lieferungen hänge allein mit den technischen Möglichkeiten zusammen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow nach Angaben der Agentur Interfax. Anders als von Russland angegeben gebe es keine technischen Gründe für die gedrosselten Liefermengen, stellte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin fest. Die angeblich fehlende Turbine für eine Verdichterstation sei ein Vorwand. „Die Turbine ist da, sie ist gewartet“, sagte Hoffmann. Einem Transport nach Russland stehe nichts im Weg. „Es liegt nicht an der deutschen Seite“, betonte sie.
Die erneuten Kürzungen erschweren Deutschland das Befüllen der Gasspeicher für den Winter. Neben Alternativen zu russischem Gas sucht die Bundesregierung deshalb nach Möglichkeiten, Gas einzusparen. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sieht dabei erste Erfolge. Die privaten Haushalte, aber auch die Industrie verbrauchten „5, 6, 7% weniger“, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk. Jetzt müsse in allen Bereichen der Gesellschaft etwas getan werden, sei es technische Innovation, sei es das Diversifizieren von Energiequellen.
Notfallstufe nicht in Sicht
Auf die Frage, ob in einigen Wochen die dritte Stufe im Notfallplan Gas ausgerufen werden müsse, antwortete Müller zurückhaltend. Eine unmittelbar bevorstehende Ausrufung der Notfallstufe sehe er vor dem Hintergrund der weiter fließenden Gaslieferungen über Nord Stream 1 nicht. Wenn es dabei bleibe und auch in den nächsten Tagen und Wochen weiter Gas eingespeichert werden könne, sei eine physikalische Gasmangellage nicht absehbar, sagte Müller. Diese ist die Voraussetzung für die dritte Notfallstufe.