Geldpolitik

Schubumkehr

Der Blick in die Sitzungsprotokolle von Fed und EZB belegt: Die einst schlafwandelnden Notenbanker sind wegen der Inflation aufgeschreckt. Die Euro-Hüter können nun Lehren aus dem Fehler der Fed ziehen – noch.

Schubumkehr

Die gerade veröffentlichten Sitzungsprotokolle von US-Notenbank Fed und Europäischer Zentralbank (EZB) bestätigen es: Die nicht enden wollenden Inflationsschocks haben die Währungshüter diesseits wie jenseits des Atlantiks aufgeschreckt. Zu lange schlafwandelten sie, statt mit der gebotenen Dringlichkeit auf die sich aufbauenden Preisschübe zu reagieren. Glücklicherweise ist inzwischen unverkennbar, dass ein Sinneswandel eingesetzt hat. Der ist auf Seiten der Fed wesentlich ausgeprägter als bei der EZB. Dafür gibt es fundamentale Gründe. Insofern besteht (noch) kein Grund für Panik im EZB-Tower. Trotzdem muss die EZB die richtigen Schlüsse aus dem Zaudern der Fed ziehen – solange sie noch kann.

In den USA hat das Lohnwachstum längst beunruhigende Dimensionen angenommen. Dass diese Dynamik abbricht, ist nicht absehbar: Es herrscht quasi Vollbeschäftigung. Der Krieg in der Ukraine trifft die amerikanische Wirtschaft in deutlich geringerem Ausmaß als die europäische. Eine Rezession droht allenfalls, wenn die Fed überzieht.

Anders die Lage im Euroraum. Hinweise auf eine Lohn-Preis-Spirale gibt es hier bislang kaum, Anzeichen einer Stagflation – einer Kombination aus schwachem Wachstum und hohen Teuerungsraten – hingegen sehr wohl. Ans Eingemachte geht es in einigen Monaten, wenn große Lohnrunden anstehen. Bis dahin dürfte die Inflationsrate kaum unter 7% sinken. Das wird bei den Tarifpartnern die Alarmglocken schrillen lassen.

Deshalb muss die EZB jetzt klarstellen, dass sie erhebliche Kaufkraftverluste für Arbeitnehmer nicht auf Dauer tolerieren wird. Nur indem sie konsequent die Zinswende vorantreibt, kann sie auf gehaltspolitische Mäßigung hinwirken. Lohnexzesse im Keim zu ersticken ist eine wichtige Lehre aus dem Fehler der Fed: Die US-Notenbank hat den Post-Pandemie-Preisschock viel zu lange unterschätzt. Die Quittung: Sie ist gezwungen, ihre Bilanzsumme durch den Abverkauf von Wertpapieren im Volumen von monatlich bis zu knapp 100 Mrd. Dollar radikal zu stutzen – parallel zu kräftigen Zinserhöhungen. Die heftige Schubumkehr hat das Potenzial, für erhebliche Marktturbulenzen zu sorgen und im schlechtesten Fall den Aufschwung abzuwürgen.

Dieses Szenario treibt vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs auch manchen Euro-Notenbanker um. Priorität muss in der jetzigen Phase aber eindeutig die Inflationsbekämpfung haben. Die Preise ziehen längst auch in der Breite an. Die Inflationserwartungen steigen merklich. Im dritten Quartal muss die Zinswende beginnen – sonst droht auch der EZB ein böses Erwachen.

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