Staatseinnahmen steigen trotz Krise
wf Berlin
Angesichts der guten Zahlen der Steuerschätzer hat Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vor übertriebener Hoffnung auf neue Ausgaben gewarnt. „Wir dürfen uns von den jetzt prognostizierten Einnahmen nicht täuschen lassen“, sagte Lindner vor der Presse in Berlin. Das Ergebnis der Steuerschätzung sei wie die Wirtschaftsentwicklung von höchster Unsicherheit gekennzeichnet.
Die Steuerschätzer erwarten von 2022 bis 2026 für Bund, Länder und Gemeinden 126,4 Mrd. Euro mehr Einnahmen als noch im Mai prognostiziert. Der größte Zuwachs liege in den Jahren ab 2024. Dann erwarten die Schätzer 28,3 Mrd. Euro zusätzliche Einnahmen für alle Gebietskörperschaften, 2025 sind es 44,1 Mrd. Euro und 2026 sind es 46,8 Mrd. Euro. Nur für dieses Jahr sagen die Schätzer 1,7 Mrd. Euro weniger Einnahmen voraus als im Mai.
Zwar rechnet die Bundesregierung für das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einer Rezession im zweiten Halbjahr und im ersten Quartal 2023, doch sind für die Steuerschätzer nominale Bezugsgrößen maßgeblich – nominales BIP, Bruttolöhne und -gehälter sowie Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Diese haben sich besser entwickelt als im Frühjahr prognostiziert. Von 2024 an geht die Herbstprojektion von einer Erholung auf den Wachstumspfad aus.
Gut durch die Krise
„Die Ergebnisse der Steuerschätzung sind getragen von einem robusten Arbeitsmarkt und einer insgesamt guten Entwicklung der Unternehmensgewinne“, sagte Lindner. Deutschland sei dank der Unterstützungsmaßnahmen bisher gut durch diese Krise gekommen. Zugleich minderten aber stark gestiegene Preise die Kaufkraft. „Sie belasten Menschen und Betriebe“, sagte der Minister. Diese durch die Inflation bedingten Mehreinnahmen will Lindner den Bürgern zurückgeben.
Grüne gegen Sparen
Er warnte zugleich davor, die guten Zahlen der Steuerschätzer überzuinterpretieren. „Spielräume für zusätzliche Ausgaben gibt es keine“, sagte der FDP-Politiker. Beim grünen Koalitionspartner hat dies eine andere Note. „Die Steuerschätzung ist ein Appell für eine aktive Finanzpolitik“, erklärte deren Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler. „Sparen in der Krise verschärft nur die Notlage und gefährdet so auch die Steuereinnahmen.“
Jenseits der kreditfinanzierten Hilfsprogramme im Zuge von Russlands Krieg gegen die Ukraine will Lindner 2023 die Schuldenbremse wieder einhalten. Zugleich verwies er auf ein verzerrtes Bild: Die Steuerschätzer kalkulieren ausschließlich mit beschlossenen Gesetzesnovellen. „Erhebliche Steuerrechtsänderungen, die noch parlamentarisch beraten werden, sind in diesem Schätzergebnis nicht berücksichtigt.“
Dies gilt für das Inflationsausgleichsgesetz gegen die kalten Progression und das Jahressteuergesetz 2022. So müsse der Bund 2023 – anders als in der Steuerschätzung mit +4,5 Mrd. Euro veranschlagt – mit Mindereinnahmen von 7,4 Mrd. Euro kalkulieren. 2024 sei statt mit einem Plus von 11,6 Mrd. Euro mit einem Minus von 4,7 Mrd. Euro zu rechnen.
Zudem muss der Bund nach der neuerlichen Zinserhöhung der EZB mehr Vorsorge treffen. „Ich begrüße, dass die EZB ganz entschlossen die Inflation bekämpft“, sagte Lindner. „Das ist auch das Bemühen der Bundesregierung.“ Die Finanzpolitik dürfe auf Dauer nicht zu expansiv sein. 2023 sind nach Jahren des Rückgangs auf einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag 30 Mrd. Euro für Zinsausgaben eingeplant. Wie stark dies korrigiert werden muss, ließ der Minister offen.
Von Bedeutung sind die Zahlen der Steuerschätzung auch für die Verhandlungen von Bund und Ländern über das Entlastungspaket am 2.November. Den Schätzern zufolge können die Länder in diesem Jahr mit 2,9 Mrd. Euro mehr Einnahmen rechnen als im Mai erwartet. 2023 sind es 1 Mrd. Euro weniger, 2024 rund 9,1 Mrd. Euro mehr. Zusammen stehen den Bundesländer nach diversen föderalen Finanzreformen inzwischen mehr Steuereinnahmen zu als dem Bund (siehe Tabelle).
Entwicklung der Steuereinnahmen bis 2027 | |||||||
Angaben in Mrd. Euro – in Klammern Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent | |||||||
Ist | Schätzung | ||||||
2021 | 2022 | 2023 | 2024 | 2025 | 2026 | 2027 | |
Bund | 313,7 (10,8) | 338,0 (7,8) | 369,7 (9,4) | 390,3 (5,6) | 410,0 (5,0) | 424,1 (3,4) | 438,2 (3,3) |
Länder | 355,1 (12,3) | 378,0 (6,5) | 387,4 (2,5) | 411,9 (6,3) | 431,1 (4,6) | 446,3 (3,5) | 461,9 (3,5) |
Gemeinden | 126,2 (17,4) | 132,4 (4,9) | 139,8 (5,6) | 147,8 (5,7) | 156,3 (5,7) | 162,6 (4,0) | 168,4 (3,6) |
EU | 38,2 (16,5) | 39,3 (2,8) | 40,4 (2,8) | 43,0 (6,3) | 44,5 (3,6) | 45,6 (2,4) | 46,3 (1,5) |
Insgesamt | 833,2 (12,6) | 887,7 (6,5) | 937,3 (5,6) | 993,0 (5,9) | 1 041,9 (4,9) | 1 078,5 (3,5) | 1 114,8 (3,4) |
Quelle: Arbeitskreis SteuerschätzungBörsen-Zeitung |