Stell Dir vor, es ist Aufschwung und die Teile fehlen
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt
In Indien fehlt Sauerstoff in der Stahlproduktion, weil er in den Krankenhäusern für Coronapatienten benötigt wird. Solche und viele andere Engpässe bei Vorprodukten dämpfen auch die Erholung der deutschen Wirtschaft. Laut Ifo-Institut berichten derzeit 45% der hiesigen Unternehmen über Materialknappheit. Das ist der höchste Wert seit 1991.
Gründe für den Engpass sind der aus den Lockdown-Wirren samt Grenzschließungen entstandene Mangel an Transportcontainern in Asien sowie Produktionsausfälle in Asien und die gleichzeitig schnell wachsende Nachfrage im Westen nach elektronischen Produkten aus Asien, die Mikrochips enthalten. Obendrauf kommen Rekordpreise für Eisenerz und Kupfer.
Die Frachtkosten, gemessen am Welt-Containerindex des privaten Seefahrtsforschungsinstituts Drewry, haben sich 2021 verdoppelt – auf rund 5000 Dollar für einen 40 Fuß großen Container. Auch die Blockade des Suez-Kanals im März wegen des havarierten Containerschiffs „Ever Given“ hat den Containermangel vorübergehend verschärft.
Eine bedeutende Rolle spielten auch Wetter- oder Klimaphänomene: Von den Winterstürmen in den USA waren Halbleiterhersteller in Texas betroffen. In China, wo die weltweit größte Menge des Halbleitervorprodukts Silizium hergestellt wird, konnte wegen Trockenheit in den Wasserkraftwerken zeitweise kein Strom zur Rohsiliziumherstellung produziert werden, während andernorts wegen Überschwemmungen die Produktion stillstand.
Die Materialknappheit pflanzt sich mitten im Aufschwung von einer Branche zur nächsten fort und erstreckt sich nahezu über alle produzierenden Unternehmen: Knapp sind nicht nur Chips für Autohersteller, sondern auch Holz und Styropor für Handwerker, Polypropylen für Kunststoffverarbeiter oder Stahl für Bau, Autoindustrie und Maschinenbau. Weitere besonders stark betroffene Branchen sind laut Ifo-Umfrage die Hersteller von elektrischer Ausrüstung, Computern, Möbeln sowie Holz-, Flecht- und Korbwaren. Es gibt nur wenige Branchen, die kaum betroffen sind – darunter die Hersteller von Getränken, Nahrung und Futtermitteln sowie die Pharmabranche.
Wegen fehlender Halbleiter müssen die Ford-Werke die Produktion in Köln in den nächsten Monaten fast komplett einstellen. Der Konzern hat für die Zeit vom 3. Mai bis zum 18. Juni sowie vom 30. Juni bis zum 9. Juli mit der Arbeitnehmervertretung Kurzarbeit in der Produktion vereinbart. Betroffen sind rund 5000 der 15000 Mitarbeiter in Köln. Lediglich vom 19. bis 29. Juni sollen in Köln die Fließbänder laufen. An den zweiten Produktionsstillstand bis Mitte Juli schließen sich dann die Werksferien an. Die Produktion startet wieder am 16. August. Auch im Ford-Werk in Saarlouis sollen vom 3. bis zum 18. Mai und vom 25. Mai bis 7. Juni die Bänder stillstehen.
Ford ist mit den Lieferproblemen bei Chips nicht allein. Auch die Autohersteller Volkswagen, Audi, Daimler und BMW haben deshalb zeitweise die Produktion eingeschränkt. „Die Lage auf dem globalen Halbleitermarkt bleibt angespannt und wird es allen Schätzungen zufolge auch in den nächsten Monaten bleiben, woraus sich Lieferengpässe ergeben“, sagt ein Ford-Sprecher.
Um die Produktionspause zu verkürzen, greift das US-Unternehmen auf unorthodoxe Methoden zurück. So sollen zwei beliebte Modelle, der Pick-up-Truck F150 und der Mittelklasse-SUV Edge, zunächst weiter produziert werden – ohne die derzeit nicht verfügbaren Teile. Die Autos würden dann später fertiggestellt, wenn die Halbleiter wieder in ausreichender Menge verfügbar sind.
Für zusätzliche Probleme sorgt nun die Coronakrise in Indien: Häfen in dem Land können nur bedingt angelaufen werden – mitunter fehlten die Seeleute, weil Reiserestriktionen den Wechsel der Crews verhindern. Schon befürchtet der Verband Deutscher Reeder deshalb neue Engpässe in den globalen Lieferketten.