Neues Instrument

Streit über neue Anleihekäufe für Italien & Co.

Parallel zur Zinswende arbeitet die EZB an einem „Antifragmentierungsinstrument“, um ein Auseinanderdriften der Euro-Länder zu verhindern. Die Details sind äußerst umstritten – und politisch ist die Idee brisant.

Streit über neue Anleihekäufe für Italien & Co.

Von Mark Schrörs, Frankfurt

Gerade erst hat das Eurosystem aus EZB und den nationalen Zentralbanken die billionenschweren Nettoanleihekäufe beendet, da wird bereits über neue Anleihekäufe diskutiert – wenn auch als Notfallinstrument oder „Backstop“. Transmission Protection Mechanism, kurz TPM: Unter diesem Namen firmiert das neue In­strument EZB-intern. Kern der Idee: Im Notfall will das Eurosystem mit Anleihekäufen einen als unangemessen angesehenen Anstieg der Euro-Staatsanleiherenditen und ein Auseinanderdriften der Anleihen unterschiedlicher Euro-Länder, also übermäßige Risikospreads, verhindern. Neben der Zinswende ist das das zweite heiße Thema für die Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) nächste Woche.

Bei einer kurzfristig angesetzten Krisensitzung wegen der zuvor stark gestiegenen Euro-Renditen und -Renditespreads hatte der EZB-Rat Mitte Juni angekündigt, „ein neues Antifragmentierungsinstrument“ zu entwickeln. Zu große Zinsdifferenzen sehen viele EZB-Obere als „Fragmentierung“ und damit als Hindernis für die einheitliche Wirkung – Transmission – der Geldpolitik in allen Euro-Ländern. Die italienische Rendite war im Zuge eines breiteren Ausverkaufs bei Euro-Staatsanleihen erstmals seit 2014 über 4% ge­klettert. Der Anstieg der Spreads hatte Erinnerungen an die Euro-Schuldenkrise vor zehn Jahren geweckt.

Im Grunde geht es um ein Problem, das die EZB seit ihrer Gründung, vor allem aber seit ebenjener Schuldenkrise umtreibt: dass nämlich die EZB-Geldpolitik womöglich nicht in allen Ländern gleich ankommt, wenn es große Renditeunterschiede gibt. Das ist aber keineswegs unumstritten. Bereits im vergangenen Jahr hatten die Euro-Hüter über eine Art vorsorgliches Instrument diskutiert, um notfalls gegen einen Ausverkauf von Anleihen schwächerer Euro-Länder vorzugehen. Nun spitzt sich die De­batte erneut zu – und es brechen alte Konfliktlinien im EZB-Rat neu auf.

Schnabel: „Keine Grenzen“

Einige Notenbanker, vor allem aus der Euro-Peripherie, und eine Reihe Ökonomen argumentieren, dass die EZB eine Fragmentierung nicht dulden könne. Unmittelbar vor der EZB-Krisensitzung hatte auch EZB-Direktorin Isabel Schnabel gesagt, das Engagement der EZB gegen Fragmentierung „kennt keine Grenzen“. Auf neue Notfälle werde die EZB mit bestehenden und neuen Instrumenten reagieren. Vor wenigen Tagen sagte dann der einflussreiche französische Zentralbankchef François Villeroy de Galhau: „Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir ein wirksames Instrument zum Schutz vor ungerechtfertigter Fragmentierung anbringen werden.“ Er versicherte, dass die neue Maßnahme so groß und flexibel sein werde, dass sie nicht wirklich eingesetzt werden müsse.

Dagegen äußerte sich Bundesbankpräsident Joachim Nagel vergangene Woche sehr kritisch und warnend zu neuen EZB-Anleihekäufen zur Unterstützung hoch verschuldeter Euro-Länder und zu ei­nem entsprechenden neuen EZB-In­strument. Das galt als Warnschuss Richtung EZB-Chefin Christine Lagarde und anderen Unterstützern der Idee.

Nagels Aussagen deuten zudem an, wo aktuell die großen Konfliktlinien liegen. Da ist zum einen die Frage, wie beurteilt werden soll, ob ein Spread fundamental gerechtfertigt ist oder nicht. Ex-EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio hatte im Interview der Börsen-Zeitung erklärt, dass es Modelle zur Bewertung des fairen Werts von Anleihen gebe, die auf wirtschaftlichen Daten beruhten (vgl. BZ vom 30. Juni). Nagel sieht das kritischer: „Es ist in Echtzeit so gut wie unmöglich, sicher festzustellen, ob eine Spreadausweitung fundamental gerechtfertigt ist. Hier gerät man schnell in gefährliches Fahrwasser.“ Am Dienstag legte Nagel nach und sagte, dass aus seiner Sicht die aktuellen Renditeentwicklungen fundamental begründet seien – „solange nicht das Gegenteil belegt ist“.

Konditionalität umstritten

Zum anderen ist da die Frage der Konditionalität, also der Bedingungen, die im Gegenzug für EZB-Hilfen erfüllt sein müssen. Nagel sagte unlängst, es sei „entscheidend, dass die Mitgliedstaaten weiterhin genügend Anreize haben, ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik nachhaltig auszurichten und Schuldenstände zu verringern“. Und weiter: „Eine wirksame fiskalische Konditionalität ist hier unverzichtbar.“ Am Dienstag be­tonte er, dass er seine Unterstützung für ein neues EZB-Werkzeug von den Konditionen abhängig mache.

Eine allzu strikte Konditionalität lehnen einige Notenbanker aber ab. Nicht zuletzt die dabei bestehende Konditionalität ist es, weshalb viele das EZB-Staatsanleihekaufprogramm OMT aus dem Jahr 2012 als „stigmatisiert“ ansehen. Nagel dagegen sieht es durchaus als geeignetes Instrument für solche Notfälle – womit er auch eine positivere Einstellung zu OMT hat als sein Vorgänger Jens Weidmann lange Zeit. Zu einem neuen Werkzeug sagte Nagel, dass es „ein klar eingegrenztes Instrument“ und „zeitlich eng befristet“ sein müsse. Nagel erinnerte an frühere Gerichtsverfahren zu EZB-Käufen.

Tatsächlich hat die Erwartung, dass in Deutschland gegen ein neues EZB-Programm schnell wieder geklagt werden dürfte, neue Nahrung erhalten. Der Berliner Jurist und Finanzwissenschaftler Markus Kerber kritisierte dieser Tage, dass der Versuch, Zinsspreizungen zu verhindern, „eindeutig“ gegen das EZB-Mandat verstoße (vgl. BZ vom 8. Ju­li). Kritiker sehen spätestens dann das Verbot der monetären Staatsfinanzierung im EU-Vertrag verletzt.

Unter Ökonomen ist der EZB-Plan umstritten. Erik Nielsen, Chefwirtschaftsberater bei Unicredit, unterstützt die Idee und sagt, das geplante Instrument brauche „eine jederzeit verfügbare und unbegrenzte Feuerkraft“. Es gehe darum, „spekulativen Angriffen entgegenzuwirken, bevor diese dauerhafte Probleme verursachen“. Dagegen warnt Michael Schubert von der Commerzbank vor rechtlichen Problemen. Mit der Effektivität des neuen Programms steige die Gefahr, dass die EZB ihr geldpolitisches Mandat überschreite. Sein prägnantes Fazit zum geplanten TPM: „Je effektiver, desto illegaler.“

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