Mindeststeuer

„Subventionswettbewerb wird sich verschärfen“

Der Züricher Steuerprofessor und Rechtsanwalt René Matteotti äußert sich im Interview der Börsen-Zeitung zur G20-Einigung auf eine globale Mindeststeuer, den Folgen für die Schweiz sowie mögliche Rektionen.

„Subventionswettbewerb wird sich verschärfen“

Daniel Zulauf.

Herr Professor Matteotti, die globale Mindeststeuer für Unternehmen stößt auf wenig Widerstand. Irland, Estland, Ungarn und ein paar Steueroasen sind dagegen. Von 139 OECD-Ländern sind 131 dafür. Warum kommt diese Initiative erst jetzt, wo sie doch so viel Zuspruch zu haben scheint?

Es ist erstaunlich, dass man sich auf dieser breiten, internationalen Ebene auf die 15% oder genauer auf die mindestens 15% einigen konnte. Der Grund dafür ist der enorme politische Druck, den einige sehr große Länder wie insbesondere die USA, Deutschland und Frankreich ausüben.

In vielen Schweizer Kantonen liegen die Gewinnsteuersätze tiefer als 15%. Sie verlieren also einen Vorteil im internationalen Standortwettbewerb. Warum wehrt sich die Schweiz nicht gegen die G7-Initiative?

Die Schweiz schluckt diese Kröte, weil sie im globalen Standortwettbewerb immerhin ein gewisses Maß an Rechtssicherheit verspricht. Ob diese Rechtssicherheit tatsächlich kommen wird, werden wir dann sehen, wenn die Details der Vereinbarung ausgearbeitet sind. Im Moment liegt erst eine Grobskizze der Grundarchitektur vor.

Was meinen Sie mit Rechtssicherheit?

Ich meine ein Steuersystem mit global gültigen Verhaltensregeln, an die sich alle Länder halten. Verbunden damit ist auch die Hoffnung, dass die einzelnen Länder die vorgeschlagenen Zwangsinstrumente mehr oder einheitlich in nationales Recht übertragen werden.

Viele internationale Firmen sind in den vergangenen Jahrzehnten in die Schweiz gezogen. Was bedeutet das neue globale Steuerregime für das Land?

Es ist zu erwarten, dass sich der Zuzug von ganz großen internationalen Firmen, die in der Schweiz ein günstigeres steuerliches Umfeld suchen, verflachen wird, wenn die Schweiz keine Maßnahmen zur Erhaltung der Standortattraktivität und zur Sicherung der Arbeitsplätze trifft.

Gibt es Prognosen zu diesen absehbaren Vorgängen?

Zuverlässige Prognosen sind derzeit nicht möglich. Tatsache ist aber, dass die betroffenen rund 200 Großunternehmen in der Schweiz sehr viel Steuern in die Bundeskasse zahlen und auch die Kantonsfinanzen mit vielen interessanten und gut bezahlten Arbeitsplätzen kräftig unterstützen.

Die G20-Länder haben vor einigen Jahren ein anderes globales Steuerprojekt unter dem Namen „Base Erosion and Profit Shifting“ (Beps) lanciert. Was ist eigentlich aus diesem Projekt geworden?

Nach der Lancierung des Beps-Projektes hatte man das Gefühl, die Frage sei geklärt, wie unfairer Steuerwettbewerb einzugrenzen sei. In dem Beps-Modell galt der Grundsatz, dass die Staaten in Bezug auf die Festlegung der Steuersätze autonom sind. Niedrige Steuern und sogar gewisse Steuerprivilegien wurden akzeptiert, solange diese Steuervorteile mit echten wirtschaftlichen Aktivitäten, also mit konkreten Investitionen und Arbeitsplätzen verbunden waren. Die seinerzeitige privilegierte Holdingbesteuerung in der Schweiz wurde als unfair betrachtet, weil sie nur Gewinne steuerlich privilegiert hatte, die im Ausland erwirtschaftet wurden.

Die EU bekämpfte die Holding mit dem Argument, dass sie eine Wettbewerbsverzerrung darstelle. Wo beginnt der wettbewerbsverzerrende Steuerwettbewerb?

Das ist eine große Frage, die von den G20-Ländern und den am OECD-Beps-Projekts teilnehmenden 139 Staaten, dem sogenannten „inclusive framework“, gerade politisch beantwortet wird. Aber man muss fairerweise sagen, dass auch andere Steuermodelle eine Berechtigung haben. Höhere Unternehmensgewinnsteuern sind nicht a priori fairer als Modelle mit niedrigeren Unternehmensgewinnsteuern bei höheren Einkommens- und Mehrwertsteuern.

Gibt es in der Theorie so etwas wie eine idealtypisch faire Steuerwelt?

Nein, das gibt es nicht. Aber was wir nicht ignorieren können, ist die Tatsache, dass sich in dieser Frage nun ein internationaler Konsens herauszuschälen beginnt.

Was hat zu diesem Konsens geführt?

Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind wohl der zentrale Grund dafür. Die globale Verschuldung ist stark gestiegen und die Länder versuchen zusätzliche Steuereinnahmen zu generieren. Dies gelingt nur, wenn der Steuerwettbewerb eingeschränkt wird.

Inwieweit sind die Konzerne selbst schuld daran, dass sie jetzt enger an die Leine genommen werden? Haben sie den Bogen mit ihren Steueroptimierungsstrategien überspannt?

Die Wirkung der vielen Maßnahmen gegen solche Steueroptimierungsstrategien, wie sie unter dem Beps-Projekt weltweit getroffen wurden, hat man noch gar nicht analysiert. Einigermaßen gesichert ist nur die Erkenntnis, dass einige Konzerne sehr aggressive Praktiken angewandt hatten, mindestens bis der Kampf gegen die globale Steuerflucht mit der Lancierung von Beps eröffnet wurde.

Amazon-Chef Jeff Bezos und andere hypererfolgreiche Unternehmer hatten sich in den letzten Jahren immer mehr mit der Politik angelegt. Ist die Steuerreform auch eine politische Retourkutsche?

Fakt ist, dass einige dieser Unternehmer mit ihren internetgestützten Geschäftsmodellen teilweise monopolähnliche Marktpositionen erlangen konnten. Die so entstandenen immensen Vermögen und die große private oligarchieähnliche Macht dieser Leute sind in einer Demokratie natürlich ein Problem. Vor diesem Hintergrund könnte man die staatlichen Bestrebungen zu mehr Regulierung und allenfalls auch zu einer stärkeren Besteuerung durchaus auch als logische Konsequenz sehen.

In der Schweiz gibt es jetzt Überlegungen, wie der Verlust an Steuerattraktivität für betroffene Unternehmen durch Erleichterungen bei den Sozialabgaben, geringere Umweltabgaben und anderen Maßnahmen zu kompensieren wäre. Ist das zielführend?

Die Suche nach Kompensationsmöglichkeiten ist angesichts der erheblichen Bedeutung der Großunternehmen für die lokale Wirtschaft und für die Bundeskasse verständlich. Aber es ist eine Gratwanderung. Man darf nicht vergessen, dass auch der Subventionswettbewerb international reguliert ist.

Aber gibt es in diesen Regulie­rungen nicht immer auch Spielräume?

Ja, das stimmt. Ich erwarte darum, dass es zu einem verschärften Subventionswettbewerb kommen wird. Aber ich glaube auch, dass die EU gerade deshalb sehr viel wachsamer als bisher darauf achten wird, dass das Beihilfeverbot, dem auch die Schweiz aufgrund des Freihandelsabkommens mit der EU Rechnung tragen muss, berücksichtigt wird.

Das Interview führte