Umfangreiches Pflichtenheft für Bundesregierung
Eine bessere Klimaschutzpolitik, ein Umbau des Rentensystem, eine schnellere Digitalisierung und bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen: Dieses Pflichtenheft geben die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute der neuen Bundesregierung an die Hand. Mit der wirtschaftlichen Erholung von den Folgen der Corona-Pandemie könne der Krisenmodus verlassen werden und es gelte, den Blick auf die 2020er Jahre zu richten, schreiben die fünf beteiligten Institute in ihrer sogenannten Gemeinschaftsdiagnose. Das Essener RWI, das Berliner DIW, das Münchner Ifo-Institut, das Kieler IfW und das IWH aus Halle rügen, dass „die gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen bisher zu zögerlich angegangen“ wurden.
„Ineffizient und zu teuer“
„Der Klimawandel ist eines der drängendsten Probleme“, sagte IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller laut Reuters bei der Vorstellung des Gutachtens. „Die Emissionen müssen gesenkt werden.“ Die aktuelle Klimaschutzpolitik sei ineffizient, für gegebene Ziele unnötig teuer und es sei absehbar, dass mit den bestehenden Maßnahmen die von der Regierung selbst gesteckten Emissionsziele – Treibhausgasneutralität bis 2045 – nicht erreicht werden könnten, heißt es im Gutachten. Der eingeleitete Ausstieg aus der Kohleverstromung sei zwar ein wichtiger Schritt, reiche aber nicht aus. Deutliche Potenziale zur CO 2 -Reduktion machen die Institute in den Bereichen Verkehr und Gebäude sowie in der Industrie aus. Doch mahnen sie zugleich, stets die Gesamtemissionen und nicht nur die einzelnen Sektoren im Blick zu behalten.
Statt Mikromanagement zu betreiben „sollte der Staat die CO 2 -Zertifikate sukzessive reduzieren und es den Marktakteuren überlassen, die kosteneffektivsten CO 2 -Einsparungen zu finden“, schreiben die Ökonomen.
Eckwerte der Prognosen für Deutschland | |||
2020 | 2021 | 2022 | |
BIP (preis-, nicht kalenderbereinigt) | -4,6 | 2,4 | 4,8 |
Arbeitslosenquote | 5,9 | 5,7 | 5,3 |
Inflationsrate | 0,5 | 3,0 | 2,5 |
Finanzierungssaldo des Staates* | -4,3 | -4,9 | -2,1 |
Leistungsbilanzsaldo* | 6,9 | 6,4 | 6,3 |
*) in % des BIP |
Für eine hinreichende Lenkungswirkung müssten Preissteigerungen bei den Emissionszertifikaten zugelassen werden. „Mir scheint, Politik und Bevölkerung in Deutschland haben noch nicht ganz verstanden, das effiziente Klimaschutzpolitik bedeutet, dass wir den Gürtel etwas enger schnallen müssen“, sagte Holtemöller. „An weniger Konsum in der Zukunft geht – wie man es dreht und wendet – kein Weg vorbei, wenn man die Emissionsschutzziele erreichen möchte.“ Ärmere Haushalte sollten durch direkte Hilfen entlastet werden. Zudem fordern die Ökonomen mehr internationale Zusammenarbeit – es helfe nichts, CO 2 -Emissionen in einem Land zu sparen durch die Auslagerung CO 2 -intensiver Produktion in andere Länder.
Schrittweiser Umbau
Zudem mahnen die Institute den Umbau des gesetzlichen Rentensystems an. „Unser jetziges Rentensystem ist nicht nachhaltig“, sagte Holtemöller. Die Leistungsversprechen, heißt es im Gutachten, seien angesichts des demografischen Wandels schon bald eine so große finanzielle Belastung, dass sie andere Staatsausgaben verdrängen und die Abgabenlast weiter erhöhen werden. Empfohlen wird daher die Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung und eine schrittweise Ergänzung des Umlagesystems mit einer Kapitaldeckung. Dazu könne der Staat schuldenfinanziert Aktien kaufen und sich dabei die niedrige Rendite für Staatsanleihen zunutze machen. „Dies wäre mit den Regeln der Schuldenbremse vereinbar“, betonen die Forscher, „weil sich hier finanzielle Transaktionen nicht auswirken“. Dividenden könnten für Zahlungen an Rentner genutzt werden.
Investitionsanreize schaffen
Da der Großteil der Investitionen, die für den Klimaschutz und die Digitalisierung von den privaten Unternehmen in den kommenden Jahren geleistet werden müsse, sollten hier zusätzliche Anreize geschaffen werden, empfehlen die Wirtschaftsforscher. Bei der Digitalisierung sehen sie aber auch den Staat in der Pflicht – insbesondere bei der öffentlichen Verwaltung. Deutschland hinke hinterher und gehe „damit das Risiko ein, international an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren und Möglichkeiten zur Steigerung der Produktivität nicht zu nutzen“, mahnen die Ökonomen.
Da Industrie und Produktion insbesondere durch globale Lieferengpässe zurückgegangen seien, sei es nun umso wichtiger, „dass eine neue Regierung Hemmnisse und Belastungen reduziert und auf Innovationen setzt, damit der wirtschaftliche Erholungskurs nicht abgewürgt wird“, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier bei der Vorstellung des Herbstgutachtens. Der CDU-Politiker wird die Herbstprojektion der Bundesregierung am 27. Oktober 2021 vorstellen, auf der dann wiederum die für November anstehende Steuerschätzung beruht.