Schweden

Unterm Brennglas

Schwedens Geld- und Regierungspolitik wirken in diesen Tagen wie ein Brennglas für einige der drängendsten Fragen unserer Zeit. Die Million-Euro-Frage für Währungshüter allerorten lautet: Wie heiß dürfen Wirtschaft und Inflation laufen, bevor die...

Unterm Brennglas

Schwedens Geld- und Regierungspolitik wirken in diesen Tagen wie ein Brennglas für einige der drängendsten Fragen unserer Zeit. Die Million-Euro-Frage für Währungshüter allerorten lautet: Wie heiß dürfen Wirtschaft und Inflation laufen, bevor die Notenbanken gegensteuern? Die Riksbank hat sie nun überraschend eindeutig beantwortet: Die Inflation muss „signifikant und anhaltend“ über die Zielmarke von 2% steigen, bevor an Zinserhöhungen zu denken ist – und das wird nicht in den nächsten drei Jahren der Fall sein. Die Riksbank macht somit keine Anstalten, von ihrer ultralockeren Geldpolitik samt umfangreichen Anleihekäufen abzuweichen, obwohl auch in Schweden der Preisdruck im Zuge einer kräftigen Erholung zunimmt. Damit weicht sie in markanter Weise vom Kurs ihrer skandinavischen Kollegen in Norwegen ab, die voraussichtlich im Herbst den Leitzins erhöhen werden, und setzt einen auffallend gelassenen Ton im Vergleich zu Vertretern der US-Notenbank Fed, die im Mittel 2023 erste Zinserhöhungen erwarten.

Zugleich steigen in Schweden die Immobilienpreise so stark wie kaum irgendwo in Europa, was je nach Standpunkt eine unbeabsichtigte Begleiterscheinung oder direkte Folge der jahrelangen Nullzinspolitik ist, die die Riksbank nun voraussichtlich auf Jahre hinaus perpetuiert hat. In Kombination ergeben beide Entwicklungen eine hochbrisante Gemengelage mit immenser gesellschaftlicher Sprengkraft. Was passiert, wenn diese sich politisch entlädt, zeigt die Regierungskrise im Stockholmer Parlament: Das Land steht ohne Führung da, seit ein Streit über die Mietpolitik die rot-grüne Minderheitsregierung zum Sturz gebracht hat. Diese wollte es Vermietern von Neubauten künftig erlauben, den Mietpreis frei zu bestimmen. Für Schwedens Linke ein Tabubruch gegen den skandinavischen Wohlfahrtsstaat, der sie sogar veranlasste, beim Misstrauensvotum gegen Ministerpräsident Stefan Löfven, einen Sozialdemokraten, mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten zu paktieren.

Die Vorgänge sind ein Menetekel für den aufziehenden Bundestagswahlkampf. Einem tragbaren Interessenausgleich zwischen Eigentümern und Mietern, zwischen Rendite und Recht auf bezahlbares Wohnen, kann sich keine Partei entziehen. Das Megathema gehört auf der Prioritätenliste der künftigen Regierung weit nach oben. Denn mit der Mietpreisbremse der großen Koalition ist es nicht getan, wie die Kampagnen zur Enteignung der Wohnkonzerne zeigen. Die Niedrigzinsen als Nährboden für den Immobilienboom, so viel ist klar, werden auch in der Eurozone nicht so bald verschwinden.

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