US-Jobmarkt bringt Fed in Bedrängnis
Von Peter De Thier, Washington
Die Gratwanderung zwischen dem Ziel der Vollbeschäftigung auf der einen und der Geldwertstabilität auf der anderen Seite wird für die US-Notenbank immer schwieriger. Im September enttäuschte nämlich das Stellenwachstum auf ganzer Linie und lieferte einen weiteren Beweis dafür, dass die Wirtschaft noch einige Zeit mit den Folgen der Delta-Variante des Coronavirus zu kämpfen haben wird. Auf der anderen Seite sehen Volkswirte in dem kräftigen Lohnanstieg einen möglichen Vorboten einer weiter steigenden Inflation.
Zwar gab die Erwerbslosenquote laut US-Arbeitsministerium um 0,4 Prozentpunkte auf 4,8% nach und lag unterhalb der prognostizierten 5,1%. Für eine herbe Enttäuschung sorgte aber das Stellenwachstum. Erwartet hatten Ökonomen ein Plus von etwa 500000. Dabei entstanden ohne Berücksichtigung der Landwirtschaft im vergangenen Monat lediglich 194000 neue Jobs.
Dies weckte einerseits bei einigen Ökonomen Zweifel daran, inwieweit die Notenbank noch in diesem Jahr beginnen wird, ihre Anleihekäufe zurückzufahren (Tapering). Für einen baldigen Beginn des Tapering spricht andererseits nach wie vor die kräftige Zunahme der Stundenlöhne, die im Vorjahresvergleich um 4,6% zulegten. Der Wert entspricht zwar den Markterwartungen, deutet gegenüber den im August gemessenen 4,3% aber auf eine weiter steigende Inflation hin.
Tapering-Zeitplan fraglich
Bis zur Veröffentlichung des jüngsten Arbeitsmarktberichts waren viele Ökonomen davon ausgegangen, dass die Fed nach der nächsten Sitzung ihres Offenmarktausschusses (FOMC) im November einen Zeitplan für das Tapering bekanntgeben und die Drosselung der Anleihekäufe dann im Dezember beginnen würde. Schließlich hatte Notenbankchef Jerome Powell nach der letzten FOMC-Sitzung Fortschritte am Arbeitsmarkt ebenso betont wie die Tatsache, dass die Teuerungsrate das zweiprozentige Inflationsziel der Fed überschritten hat. So hatte die Kernrate des PCE-Preisindex, das bevorzugte Inflationsmaß der Fed, im August um 3,6% zugelegt. Würden die Fortschritte bei der Erfüllung des dualen Mandats der Fed „sich wie erwartet fortsetzen, dann könnte eine Reduktion der Anleihekäufe bald angemessen sein“, sagte der oberste Währungshüter damals.
Nela Richardson, Chefvolkswirtin beim Arbeitsmarktdienstleister Automatic Data Processing (ADP), ist sich nach dem September-Bericht hingegen nicht mehr so sicher, dass es bereits im kommenden Monat eine entsprechende Ankündigung geben wird. „Der Drahtseilakt, den die Fed zwischen den Komponenten ihres dualen Mandats zu meistern hat, wird nämlich immer schwieriger“, so Richardson.
Auch andere Experten können sich inzwischen gut vorstellen, dass die FOMC-Mitglieder noch werden warten wollen, ehe sie sich in Sachen Tapering auf die nächsten Schritte festlegen. „Eigentlich hätte das Tempo des Stellenwachstums weiter zulegen müssen, doch die Delta-Variante hat alles auf den Kopf gestellt“, sagte Diane Swonk, Chefvolkswirtin beim Finanzdienstleister Grant Thornton. Aneta Markowska, Volkswirtin bei dem Investmentunternehmen Jefferies, bezeichnete den Arbeitsmarktbericht schlicht als „verwirrend“. Erwartet habe man, dass mit dem Auslaufen der erweiterten Arbeitslosenhilfe und der Wiedereröffnung der Schulen sich der Beschäftigungsaufbau beschleunige, geschehen sei aber das Gegenteil. Möglich sei jedenfalls, dass mehr Menschen sich um einen Job bewerben und die Partizipationsrate, die kaum verändert bei 61,6% lag, wieder steige, „sobald Haushalte die Ersparnisse, die sie während der Pandemie gebildet haben, aufgebraucht haben“, glaubt Markowska.
Spekulationen ranken sich indes nicht nur um den Beginn des Tapering, sondern auch die Frage, wann die Fed wieder eine Zinserhöhung beschließen wird. Während der Offenmarktausschuss im Juni noch darauf hingedeutet hatte, dass keine Zinserhöhung vor 2023 beschlossen werden dürfte, rechnete im September die Hälfte der FOMC-Mitglieder damit, dass die Federal Reserve schon kommendes Jahr die Zügel straffer ziehen wird.