Wahlgeschenke mit kaum kalkulierbaren Folgen
Von Andreas Fink, Buenos Aires
Argentiniens Regierung ist konfrontiert mit einer Trias von Problemen: Die Inflation liegt bei 46%. Die Pandemie wütet in der dritten Welle heftiger denn je. Und das Problem der Milliardenschulden beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und beim Pariser Club um Deutschland und andere Gläubiger ist ungelöst. Zusätzliche Erschwernisse sind der stockende Impffortschritt, erhebliche Differenzen innerhalb der Regierung und die Kampagne zu den Teilwahlen Mitte November, die als richtungsweisend angesehen werden.
Die Regierungskoalition ist auf eine Mehrheit in beiden Kammern angewiesen. Nur so kann sie die Justiz reformieren, die mehrere Korruptionsstrafverfahren gegen Vizepräsidentin Cristina Kirchner und deren zwei Kinder vorantreibt. Aus persönlichem Interesse verlangt Kirchner ultimativ, sämtliche politischen Entscheidungen der nächsten Monate auf einen Wahlerfolg auszurichten – mit kaum zu kalkulierenden Folgen.
Exportstopp für Rindfleisch
So verhängte Präsident Alberto Fernández vor einer Woche einen 30-tägigen Stopp für Fleischexporte. Das soll die im letzten Jahr um etwa 100% gestiegenen Preise für Argentiniens Nationalgericht drücken. 3,4 Mrd. Dollar brachten Fleischexporte im Vorjahr ins Land, vor allem aus China. Nun könnten wichtige Marktanteile verloren gehen wie nach dem ersten Fleischexportverbot, 2006 verhängt vom inzwischen verstorbenen Ex-Präsidenten Néstor Kirchner. Das Verbot hielt fast zehn Jahre statt der zunächst avisierten 180 Tage. Die Fleischpreise stiegen, der Viehbestand sank um ein Fünftel, 12000 Arbeitsplätze gingen verloren.
Ähnliche Wahlgeschenke schnürte Néstors Frau Christina Kirchner nun – gegen den Willen des Finanzministers – mit höheren Energiesubventionen, staatlich vorgeschriebenen Höchstpreisen für Konsumprodukte und medizinische Versorgung sowie einem totalen Kündigungsverbot. Trotz alledem gelang es nicht, die Teuerung einzufangen, was vor allem darin gründet, dass die Zentralbank im Vorjahr umgerechnet 18 Mrd. Dollar zusätzlich gedruckt hatte, um die Kosten eines achtmonatigen Lockdowns zu finanzieren. Dieser ließ das BIP um 9,9% abstürzen, die Armutsquote von 34 auf 42% steigen und kostete 93000 Unternehmen die Existenz. Trotzdem starben im Vorjahr 40000 Argentinier an oder mit dem Coronavirus.
Merkel sagt Unterstützung zu
Inzwischen sind mehr als 75000 Tote zu beklagen, und die Infektionsraten sind mehr als doppelt so hoch wie am Höhepunkt des Vorjahres. Es ist eine Folge der Verbreitung von drei Virusmutationen und des Versuchs, die Wirtschaft kontrolliert offen zu halten, der an der sozialen und ökonomischen Realität scheiterte: Für Millionen Menschen in der informellen Wirtschaft gibt es kein Homeoffice und keine soziale Distanz. Nun will die Regierung in einem wochenweisen Wechsel an- und ausschalten und schneller impfen. Bislang haben erst etwa 5,5% der Bevölkerung zwei Impfdosen erhalten, etwa 23% eine.
Weil der neuerliche Lockdown die Staatskassen belasten wird, fordern die Kirchneristas, den Schuldendienst auszusetzen. Am Dienstag veröffentlichten 15 prominente Unterstützer der Vizepräsidentin eine entsprechende Resolution. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Argentiniens Präsidenten Fernández Unterstützung in den Verhandlungen mit IWF und Pariser Club zusagte, weiß gewiss, wer – und nicht was – Fernández größtes Problem ist.