EU-Gipfel

Wenig Chancen auf schnellen EU-Beitritt der Ukraine

Auf dem informellen EU-Gipfel in Versailles wurde der Ukraine wenig Hoffnung auf einen beschleunigten Beitritt gemacht – trotz vieler Fürsprecher aus Osteuropa. Der Druck auf Russland soll anders hoch bleiben.

Wenig Chancen auf schnellen EU-Beitritt der Ukraine

ahe/bl/ths Brüssel/Mailand/Madrid

Die EU-Staaten wollen eine engere Anbindung der Ukraine an die Europäische Union, können sich aber vorerst nicht auf einen offiziellen Kandidatenstatus des Landes einigen. Dies geht aus einem Entwurf der Abschlusserklärung für den zweitägigen EU-Gipfel in Versailles hervor, der der Börsen-Zeitung vorliegt. Die Staats- und Regierungschefs fordern die EU-Kommission danach lediglich auf, das Beitrittsgesuch Kiews zu prüfen und eine Stellungnahme dazu abzugeben. Bis dahin werde die EU „unverzüglich“ die Bindungen zur Ukraine weiter stärken und die Partnerschaft vertiefen, hieß es. „Die Ukraine gehört zur europäischen Familie.“

Zum weiteren Zeitplan der Prüfung gab es keine Äußerung. Die Ukraine ist der EU seit 2017 über ein Assoziierungsabkommen verbunden und gehört mit fünf weiteren Ländern zum Programm der „östlichen Partnerschaft“ der EU. Diplomaten hatten im Vorfeld des Gipfels von einer möglichen „Assoziierung plus plus“ gesprochen. Insbesondere acht EU-Mitglieder aus Osteuropa plädieren aber für einen offiziellen Kandidatenstatus.

„Einen beschleunigten Beitritt, so etwas gibt es nicht“, sagte dagegen der niederländische Regierungschef Mark Rutte in Versailles und verwies auf die Westbalkan-Länder, die seit zehn Jahren versuchten, EU-Mitglieder zu werden. Bundeskanzler Olaf Scholz bremste ebenfalls und verwies auf das Assoziierungsabkommen, das die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen vertiefen soll. „Das ist der Kurs, den wir verfolgen müssen“, sagte der SPD-Politiker. Neben der Ukraine hatten auch Georgien und Moldawien eine Mitgliedschaft beantragt.

Die Staats- und Regierungschefs wollten der Ukraine in Versailles grundsätzlich weitere Hilfe zusagen und drohen Russland in ihrer Erklärung weitere Sanktionen an. „Wir stellen fest, dass unsere Demokratie bedroht ist“, sagte der Gastgeber des Treffens, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, vor den Beratungen. Darauf müsse Europa reagieren. Mehr Souveränität und Unabhängigkeit seien nötig – bei der Verteidigung und Energieversorgung.

Das Thema Energie steht in Versailles erneut sehr weit oben auf der Agenda. Die Abschlusserklärung sieht die Einigung vor, „unsere Abhängigkeit von russischen Gas-, Öl- und Kohleimporten schrittweise zu beenden“.

Italiens Premierminister Mario Draghi kündigte angesichts der steigenden Energiepreise für die kommende Woche ein neues Dekret mit Hilfen für Unternehmen und Haushalte an. Die dafür seit Mitte 2021 bereitgestellten 16 Mrd. Euro reichten nicht aus, sagte Draghi noch vor Abreise zum EU-Gipfel vor Italiens Abgeordnetenhaus. Die Regierung werde alles tun, um die Kaufkraft vor allem sozial schwacher Haushalte und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu erhalten.

In Versailles unterstützte Draghi den französischen Vorschlag eines schuldenfinanzierten EU-Fonds, über den die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine in der EU abgefedert werden könnten. „Italien und Frankreich sind auch auf dieser Front vollständig auf einer Linie“, sagte er. Man werde bei dem Treffen darüber sprechen. Italien ist besonders stark von Gaseinfuhren aus Russland abhängig. Außerdem will Rom, dass Brüssel weiterhin staatliche Hilfen für Unternehmen erlaubt – ohne dass diese als staatliche Beihilfen gelten (siehe Kasten). Ohne solche Maßnahmen würde Italiens Defizit wohl deutlich steigen. Bis dato geht die Regierung für 2022 von einem Haushaltsfehlbetrag von 5,6% und einer Verschuldung von 149,4 Mrd. Euro aus.

Um eine neue europäische Energiearchitektur ging es im Vorfeld des Gipfels auch bei einem Treffen von Bundesfinanzminister Christian Lindner mit der spanischen Wirtschaftsministerin Nadia Calviño in Madrid. Spanien bezieht den Großteil seines Erdgas durch zwei Leitungen aus Algerien und hat die Infrastruktur für Flüssiggasimporte ausgebaut. Madrid dringt seit Jahren auf den Ausbau einer Pipeline nach Frankreich, um Mitteleuropa erreichen zu können. Gas aus Russland bezieht Spanien kaum. Lindner verteidigte die deutsche Position, einen Importstopp russischer Energieimporte abzulehnen. Calviño drang unterdessen noch einmal darauf, den Preisfindungsmechanismus auf den Energiemärkten zu überarbeiten.

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