Reeves hofft auf Neuanfang
Allein es fehlt der Glaube
Rachel Reeves hofft auf einen Neuanfang in den Beziehungen zur EU.
Von Andreas Hippin, London
Rachel Reeves wird auf dem Treffen der Eurogruppe in Brüssel für einen Neuanfang in den Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU werben. Seit dem Brexit hat kein britischer Schatzkanzler mehr an einer der Sitzungen der Finanzminister des Handelsblocks teilgenommen. Reeves setzt nun auf einen „geschäftsmäßigen“ Ansatz.
„Spaltung und Chaos haben die Herangehensweise der vorherigen Regierung an Europa bestimmt“, heißt es in ihrem Redetext. „Sie werden unsere nicht bestimmen.“ Man wolle ein Verhältnis, das von Vertrauen, gegenseitigem Respekt und Pragmatismus geprägt wird.
Kein Nullsummenspiel?
Es handele sich nicht um ein Nullsummenspiel, heißt es dort. Engere Wirtschaftsbeziehungen verbesserten die Wachstumsaussichten beider Seiten. Das bedeute unter anderem, „Handelsbarrieren niederzureißen, Investitionsmöglichkeiten zu schaffen und unseren Unternehmen zu helfen, in den Märkten der jeweils anderen zu verkaufen“.
Was Reeves und ihre Regierung offenbar nicht verstehen, ist der Charakter des Staatenverbunds, mit dem sie es zu tun haben. Es handelt sich in erster Linie um einen gemeinsamen Rechtsrahmen. Veränderungen von Verträgen wie der Ausstiegsvereinbarung sind nur im Schneckentempo zu bewerkstelligen, weil sie der Zustimmung aller bedürfen.
Harte nationale Interessen
Ob man sich wie Reeves bei der Gegenseite anbiedern oder wie Boris Johnson das Gegenüber verärgern will, ist in solchen Verhandlungen weitgehend irrelevant. Sie werden nicht von wendigen Politikern, sondern von Juristen geführt. Es geht um harte nationale Interessen der Mitgliedsländer. Ein von der „Financial Times“ ausgewertetes Brüsseler Arbeitspapier hat aufgelistet, über welche Stöckchen Reeves und Premierminister Keir Starmer springen müssten, um das Wohlwollen ihrer Amtskollegen zu finden.
Nach dem gebetsmühlenhaften Bekenntnis, keine Rosinenpickerei der Briten zuzulassen, machen sich die Verfasser daran, sich selbst ein paar Rosinen herauszusuchen. Dazu gehört die Forderung nach Verlängerung des Ende Juni 2026 auslaufenden Zugangs der EU-Fischfangflotten zu britischen Küstengewässern.
Streitthema Zuwanderung
Mitgliedstaaten hätten klargemacht, dass sie den britischen Wunsch nach einem „Reset“ nur dann für glaubwürdig halten, wenn es zu einer schnellen Einigung bei den Fischereithemen kommt, heißt es in der FT. Auch sonst zeigt sich Brüssel schon vorab kompromisslos. Die Rückführung illegaler Zuwanderer, die sich aus EU-Ländern auf den Weg über den Ärmelkanal machten, sei für viele Mitgliedstaaten „inakzeptabel“.
Zudem verfolgt die EU ein „Youth Experience Scheme“, das Freizügigkeit für 18- bis 30-Jährige für die Dauer von drei Jahren vorsieht. Angesichts der vergleichsweise guten Wirtschaftsentwicklung im Vereinigten Königreich würde das zu einem erneuten starken Anstieg der legalen Zuwanderung führen. EU-Staaten würde dadurch ermöglicht, ihre Jugendarbeitslosigkeit zu exportieren.
Erinnerungen an Faust
Und so rufen Labours Bemühungen um einen Neuanfang bei belesenen Briten Erinnerungen an Goethes Faust wach, den der Verfasser Folgendes sprechen ließ: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“