Rishi Sunak überrumpelt seine Gegner
Rishi Sunak überrumpelt seine Gegner
Zinssenkung im Juni wird zunehmend unwahrscheinlich – Labour führt mit weitem Abstand in Meinungsumfragen
hip London
Von Andreas Hippin, London
Am 4. Juli wird in Großbritannien ein neues Unterhaus gewählt. Die Entscheidung von Premierminister Rishi Sunak kam auch für Mitglieder der Regierungspartei überraschend. Er will die wirtschaftliche Erholung für seinen Wahlkampf nutzen. Für viele Wähler ist sie allerdings noch nicht spürbar.
Der britische Premierminister Rishi Sunak hat seine politischen Gegner mit der Ankündigung von Neuwahlen am 4. Juli kalt erwischt. Labour, Liberaldemokraten (Libdems) und Reform UK haben ihre Wahlprogramme noch nicht fertiggestellt. Auch Tory-Abgeordnete, selbst Mitglieder des Kabinetts, wurden Medienberichten zufolge überrumpelt. Denn bislang wurde weithin von einem Wahltermin im November ausgegangen.
Sunak hatte diesem Denken Vorschub geleistet, indem er immer wieder hartnäckig von einer Wahl „in der zweiten Jahreshälfte“ sprach. Nun findet sie also in nur sechs Wochen statt, nur vier Tage nach Beginn des zweiten Halbjahres. Labour stellte bislang lediglich die „ersten Schritte“ der Partei im Falle eines Wahlsieges vor. Auch die regierenden Konservativen haben noch keine großen programmatischen Ansagen gemacht.
Nigel Farage tritt nicht an
Nigel Farage, der Angstgegner der Partei, will nicht aus dem politischen Vorruhestand zurückkehren. Hätte sich der Ehrenpräsident von Reform UK zu einem politischen Comeback entschieden, wäre in vielen Wahlkreisen die Niederlage des jeweiligen Tory-Kandidaten programmiert gewesen. Die Spaltung des konservativen Lagers kommt Labour zugute. Die Rechtspartei will möglichst überall antreten. Farage hätte ihr als Spitzenkandidat noch mehr Schub verliehen.
Mit der Ankündigung von Neuwahlen schwinden die Aussichten dafür, dass es bereits im Juni eine Leitzinssenkung der Bank of England geben wird. Die Notenbank wird auf keinen Fall den Anschein erwecken wollen, den Konservativen Wahlkampfhilfe zu leisten. Dabei hatten die Tories auf einen ersten Zinsschritt gehofft. Denn er hätte die finanzielle Belastung von Eigenheimbesitzern, die noch eine Hypothek aus der Niedrigzinsphase refinanzieren müssen, etwas reduziert. Auch Unternehmer, die Investitionen finanzieren wollen, könnten aufatmen.
Im Regen stehengelassen
Sunak machte keine gute Figur, als er völlig durchnässt im strömenden Regen vor seinem Amtssitz die Auflösung des Parlaments ankündigte. Im Hintergrund dröhnte „Things Can Only Get Better“, der Soundtrack zum Erdrutschsieg von Tony Blair (Labour) 1997. Die Brexit-Gegner, die seit Jahren die Downing Street belagern, treffen selten den richtigen Ton. In diesem Fall war ihre Musikauswahl nicht zu überbieten.
Labour-Wahlsieg erwartet
Der Labour-Spitzenkandidat Keir Starmer sah allerdings auch nicht besser aus. Er sprach kurz danach vor einer holzvertäfelten Wand im Stil der 1970er-Jahre ein paar Worte. Links und rechts von ihm standen britische Flaggen. An seinem Pult hatte jemand ein Schildchen mit der Aufschrift „Change“ befestigt, „Veränderung“. Zu mehr hatte es in der kurzen Zeit wohl nicht gereicht.
Unbeliebter Politiker
Zu Veränderungen dürfte es kommen: Meinungsumfragen deuten auf einen klaren Wahlsieg von Labour hin. Von einer Mehrheit von 154 Unterhaussitzen ist die Rede. Einen so großen Vorsprung hatte nicht einmal Boris Johnson 2019 erzielt. Die größte Oppositionspartei liegt mit 20 Prozentpunkten Abstand vorn. Dem Meinungsforscher Yougov zufolge haben lediglich 20% der Umfrageteilnehmer ein positives Bild von Sunak, 71% ein negatives. Starmer sehen allerdings auch nur 34% in einem guten Licht. Mehr als die Hälfte (51%) hat ein schlechtes Bild von ihm.
Bemerkenswert ist, dass Labour Yougov zufolge als Partei von 42% positiv gesehen wird. So ein gutes Image haben sonst nur die Grünen. Lediglich 37% nehmen eine negative Haltung zu ihr ein. Die Libdems finden nur 33% gut, 47% dagegen schlecht. Vermutlich erinnerten sich manche noch an das 2010 gebrochene Wahlversprechen, die Studiengebühren nicht zu erhöhen. Von den Konservativen und der Rechtspartei Reform UK haben nur noch jeweils 20% ein gutes Bild. Negativ werden die Tories von 69% gesehen.
Erholung als Wahlkampfthema
Sunak dürfte versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass Labour die sich abzeichnende wirtschaftliche Erholung abwürgen würde. Im ersten Quartal wuchs das Bruttoinlandsprodukt um 0,6%. Das Land ließ damit die Rezession hinter sich, die das zweite Halbjahr 2023 geprägt hatte. Zudem näherte sich die Inflation im April dem Zielwert der Bank of England. Der jüngste Einkaufsmanagerindex für die Dienstleistungsbranche zeigt überdies, dass sich der Kostendruck dort abgeschwächt hat.
Für viele Bürger ist allerdings bislang keine Verbesserung spürbar. Wenn die Inflation zurückgeht, bedeutet das ja nicht, dass Produkte schon billiger werden. Seit der Wahl im Dezember 2019 beläuft sich der kumulierte Preisauftrieb dem Sender Channel 4 zufolge auf 23%. Lebensmittel haben sich gar um 30% verteuert. Das kann das Überraschungsmoment nicht ausgleichen.