ZEW entwickelt Konzept für Fiskalregeln mit Zukunftskomponente
wf Berlin
Das angehende schwarz-rote Bündnis soll einen sogenannten Zukunftshaushalt etablieren und dies mit einer langfristigen Reform der Schuldenbremse verbinden, rät das Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW Mannheim. Noch sei Zeit, die Schwächen der bisherigen Beschlüsse von CDU/CSU und SPD zu Verteidigungsausgaben und Infrastruktur zu korrigieren, erklärte Wirtschaftsforscher Friedrich Heinemann vor der Presse.
Impuls für Glaubwürdigkeit
Die Forscher befürworten in der aktuellen Lage zusätzliche Staatskredite. „Es ist absolut zwingend, dass wir jetzt kurzfristig Finanzierungsspielraum schaffen“, sagte Heinemann. „Das halten wir für richtig.“ Deutschland müsse jetzt einen starken Impuls für Glaubwürdigkeit seiner Verteidigungsfähigkeit und der Ukrainehilfe senden.
Die Forscher sorgen sich aber darum, dass es die Mittel falsch eingesetzt werden könnten. Investitionen im Kernhaushalt des Bundes könnten zulasten des geplanten Sondervermögens für Infrastruktur und der unlimitierten Verteidigungsausgaben zurückgefahren werden. Das freigewordene Geld im Kernhaushalt werde dann nicht mehr für zukunftsgerichtete Maßnahmen ausgegeben. „Dann fangen wir an, Schulden zu machen für die Rente“, sagte Heinemann. „Das darf nicht passieren.“
Vereinbarung zur Sozialstaatsreform
Eine Paketlösung wäre es aus Sicht des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gewesen, wenn die „fiskalisch Konservativen“ mehr finanziellen Spielraum geben würden und dafür eine Sozialstaatsreform einforderten. Die „fiskalisch Progressiven“ erhielten mehr Flexibilität. Kurzfristig könnten im politischen Prozesse noch verbindliche Leitplanken vereinbart werden, die in den nächsten zwei Jahren umzusetzen seien. „Das wäre eine Reform aus einem Guss“, sagte Heinemann.
Das ZEW legt mit seinem Zukunftshaushalt ein Konzept vor, das zusätzliche Ausgaben und Kredite auch für zukunftsweisende Bereiche zulässt, die bisher nicht unter Investitionen fallen. Darunter fallen in der ZEW-Systematik Investitionen, Bildung, Forschung und Entwicklung, Umwelt- und Klimaschutz sowie Verteidigung. Das Konzept haben neben Heinemann die Forscher Zareh Asatryan, Albrecht Bohne und Paul Steger erarbeitet. Ermöglicht wurde es durch die Strube-Stiftung.
Grundlegende Elemente der Schuldenbremse wahren
An den grundlegenden Elementen der Schuldenbremse will das ZEW festhalten. Dazu gehören die strukturelle Verschuldungsgrenze von 0,35% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für den Bund, die Notlagenklausel oder die Konjunkturbereinigung. Hinzu kommen neuen Elemente: „Wir erlauben, höhere Kredite für Zukunftsausgaben temporär zuzulassen, wenn die Zukunftsausgaben höher sind als der langjährige Durchschnitt“, erläuterte Heinemann. Dafür müssten die Zukunftsausgaben den Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre überschreiten. Mit diesem Konzept werde eine Netto-Investitionsregel etabliert und sichergestellt, dass die Ausgaben nur für den Nettokapitalaufbau eingesetzt werden können.
Als zusätzliches Element solle nach dem ZEW-Modell eine noch politisch auszuhandelnde Kappungsgrenze die Gesamtkreditaufnahme bezogen auf das BIP deckeln. Kontrollieren soll die Zukunftsausgaben ein Gremium aus Bundesbank, Bundesrechnungshof und Sachverständigenrat.

Wirkungsanalyse im Haushalt nötig
Weitere Neuerungen hält das ZEW für unerlässlich: „Kurzfristig sollte man jede Lockerung der Fiskalregel unbedingt mit einem Durchbruch in der Haushaltssteuerung in Richtung Wirkungsorientierung und Doppik verbinden“, empfahl Heinemann. Es bestehe sonst die Gefahr, dass das zusätzliche Geld weniger zielgenau eingesetzt werde. Die anstehende Änderung des Grundgesetzes sollte sowohl die Ziel-Wirkungsorientierung als auch die kaufmännische Betrachtungsweise aufnehmen.
Deutschland sei ein Nachzügler in den OECD-Staaten, sagte Heinemann. Bislang nutzt der Bund die Kameralistik, die nur Einnahmen und Ausgaben betrachtet. Es fehle an Transparenz über Vermögensverzehr, also Abschreibungen, und Zukunftslasten wie Pensionsrückstellungen. Auch eine Rückschau, ob die angestrebten Ziele erreicht worden seien, gebe es hierzulande im Bund nicht.
„Sondierungsergebnis einhegen“
Die schwarz-roten Sondierungsergebnisse zu Fiskalspielraum will das ZEW noch einhegen. „Wir müssen aufpassen, dass dieses Geld nicht fehlverwendet wird“, sagt Heinemann. CDU/CSU und SPD wollen Kredite für Verteidigungsausgaben von mehr als 1% des BIP nicht mehr auf die Schuldenbremse anrechnen. Eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes soll noch der alte Bundestag beschließen.
Die Forscher empfehlen, eine „Zusätzlichkeitsregel“ festzuschreiben. Nur zusätzliche Ausgaben im Vergleich zum Finanzplan 2024 sollen über zusätzliche Kredite finanziert werden dürfen. Zudem soll der erweiterte Fiskalspielraum auf der Zeitachse geringer werden. Das ZEW schlägt vor, die Marke von 1% des BIP für die Finanzierung aus dem Kernhaushalt 2028 auf 1,5% hochzusetzen. Sofern im Kernhaushalt Infrastruktur-Investitionen zurückgefahren würden, müsse eine Pönale greifen. Die Kreditmöglichkeiten müssen den Forschern zufolge um den Betrag gekürzt werden, der an Investitionen im Kernhaushalt gegenüber dem Finanzplan des Bundes 2024 fehlt.