ZEW-Konjunkturindex stürzt ab
ba Frankfurt
Börsianer bewerten aus Sorge vor ausbleibenden Gaslieferungen und der schwächelnden Weltwirtschaft die Konjunkturperspektiven für Deutschland so pessimistisch wie seit Beginn der Corona-Pandemie nicht. Nach zwei Anstiegen in Folge brachen die ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland im Juli um 25,8 auf −53,8 Punkte ein. Der Rückprall kam für Ökonomen nach den negativen Vorzeichen der Stimmungsumfrage des Umfrageinstituts Sentix nicht überraschend, sie hatten jedoch nur einen Wert von −39,3 Zählern auf dem Zettel. Auch die aktuelle Lage beurteilten die 179 Analysten und institutionellen Anleger erheblich schwächer: Der entsprechende Indikator ist um 18,2 auf −45,8 Punkte gefallen. Die Prognosen lagen hier im Mittel bei −34,5 Zählern.
Damit liegen beide Barometer „sogar etwas unter den Werten, die sich im März 2020 ergaben“, wie das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) mitteilte. „Die aktuell großen Sorgen über die Energieversorgung in Deutschland, der angekündigte Zinsanstieg der EZB sowie weitere coronabedingte Einschränkungen in China führen zu einer erheblichen Verschlechterung des Konjunkturausblicks“, kommentierte ZEW-Präsident Achim Wambach.
Ökonomen äußerten sich gleichfalls pessimistisch über die weitere wirtschaftliche Entwicklung hierzulande. „Wegen ernster Rezessionsgründe hat die Angst das Ruder übernommen“, schreibt Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe. Solange ein Gaslieferstopp akut sei, würden Rezessionsängste eher noch zunehmen. Wegen der alljährlichen Wartung ist der Gasfluss Richtung Westeuropa durch die Gaspipeline Nord Stream 1 seit Anfang dieser Woche bei null. Ob Moskau nach Ende der Arbeiten am 21. Juli den Gashahn wieder aufdreht und wie stark, ist dabei völlig offen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) spricht laut Reuters von einer „möglicherweise monatelangen Unterbrechung von Gasströmen“. Die Industrie solle aber nicht automatisch benachteiligt werden, sagte der Vizekanzler bei seinem Besuch in Österreich. Laut Berechnungen der Bundesbank wäre bei einem kompletten Stopp der Gaslieferungen aus Russland mit einem temporären Einbruch der Wirtschaftsleistung um bis zu 9% zu rechnen.
Industrie besonders anfällig
Wie groß die Sorgen sind, zeigt auch, dass die Teilnehmer der ZEW-Umfrage „ihre ohnehin ungünstige Prognose für die nächsten sechs Monate weiter“ gesenkt haben, wie Wambach sagte. „Besonders stark gehen die Erwartungen für energieintensive und exportorientierte Wirtschaftssektoren zurück, aber auch der private Konsum wird deutlich schwächer eingeschätzt“, so der Institutschef. Die hohe Inflation – im Juni waren es nach nationaler Rechnung 7,6% – lässt die Kaufkraft der Verbraucher schwinden, ihre Konsumlust befindet sich daher auf dem Tiefpunkt.
Den Einzelhandelsumsatzzahlen des Statistischen Bundesamts zufolge sparen die Verbraucher insbesondere bei Lebensmitteln, während die Dienstleister und damit die deutsche Wirtschaft noch von Nachholeffekten profitieren. „Die Menschen wollen in den Urlaub, ins Schwimmbad und ins Restaurant“, so Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, der zugleich mahnt: Nach dem Ende der Sommersaison dürften die Verbraucher dann aber in allen Lebensbereichen den Gürtel enger schnallen.
Nicht viel besser sieht es für den Euroraum aus: Auch hier nehmen die Rezessionssorgen zu. Die ZEW-Konjunkturerwartungen stürzen im Juli um 23,1 auf −51,1 Punkte ab. Der Lageindikator sinkt um 18,0 auf −44,4 Zähler.