Aktivisten und Private Equity mischen Japan auf
Aktivisten und Private Equity mischen Japan auf
Die Zeiten der traditionellen Konsensorientierung in börsennotierten
japanischen Unternehmen sind vorbei. Das Land steht schon seit einigen Jahren
auf Platz zwei der Länder mit den häufigsten Aktivistenkampagnen – und könnte es auch in diesem Jahr wieder.
Von Martin Fritz, Tokio
Wie nie zuvor standen Japans Top-Manager 2024 unter dem Druck von in- und ausländischen Aktionären. Das Konzept des Shareholder Value – lange Zeit in Japan verspottet und abgelehnt – mussten sie hoch oben auf ihre Prioritätenlisten setzen. In den vergangenen drei Jahren gab es in Japan mehr Aktivisten-Kampagnen als in jedem anderen Land außer den USA. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2024 waren es laut Datenanbieter Insightia 80 Kampagnen, mehr als in Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen. Laut Nicholas Smith, Japan-Stratege bei CLSA Securities, war Japan der zweitgrößte Markt weltweit für Private Equity und Aktionärsaktivismus.
Versilbern von Bilanzschätzen
Diese Kampagnen zielten nicht nur auf Aktienrückkäufe oder höhere Dividendenzahlungen ab, sondern führten auch zu Veränderungen in der Zusammensetzung von Verwaltungsräten sowie zum Versilbern von nicht zum Kerngeschäft gehörenden Vermögenswerten und Geschäftsbereichen. Ein zuletzt häufigeres Einstiegsmotiv lieferten Portfolios von teils ungenutzten Immobilien, die mit ihrem Buch- statt Marktwert in den Bilanzen stehen.
Auf ihren jährlichen Hauptversammlungen im Juni sahen sich 45 Unternehmen, mehr als jemals zuvor, mit Forderungen von Aktionären konfrontiert – ein starker Bruch mit der traditionellen Konsensorientierung in Japan. Damit tragen die langjährige Corporate-Government-Offensive der Tokioter Börse und die Marktöffnung für Ausländer durch die Regierung immer mehr Früchte.
Der schwache Yen und die Niedrigzinsen verringern für ausländische Adressen den Kapitalaufwand und die Kreditkosten für einen Einstieg und versprechen potenzielle Währungsgewinne bei einem späteren Exit. Außerdem profitierte Japan im Vorjahr davon, dass ausländische Adressen größere Kapitalmengen aus China abzogen und es stattdessen in Nippon investierten.
Die Entwicklung dürfte im neuen Jahr voraussichtlich ungebremst weitergehen. „Die ‚verlorenen 30 Jahre‘ sind vorbei, und wir stehen vor einem großen Wendepunkt“, sagte Takeshi Niinami, Vorsitzender des Führungskräfte-Berufsverbandes Keizai Doyukai und Präsident und CEO des größten Getränkekonzerns Suntory Holdings, der Financial Times.
Kapitalkosten im Blick
Aktivismus, Private Equity-Deals und inländische M&A-Deals werden nach seiner Ansicht 2025 weiter zunehmen. Japanische Geschäftsführer müssten Kapitalkosten und Eigenkapitalrendite im Blick haben und ihre Unternehmen umgestalten, bevor sie von Aktivisten dazu gezwungen werden. „Dies ist ein Wendepunkt für Japan, um effektiver, produktiver und gewinnbringender zu werden“, sagte der 65-jährige Niinami.
Einige der größten Private-Equity-Deals von 2024: Blackstone schloss die Übernahme des Digital-Manga-Anbieters Infocom für 275 Mrd. Yen (1,7 Mrd. Euro) ab und kündigte vor Weihnachten den Kauf von 80% des Zahlungsdienstleisters Sony Payment Services für 50 Mrd. Yen (309 Mill. Euro) an. Apollo Global Management erwarb 80% des Autozulieferers Panasonic Automotive Systems für geschätzte 250 Mrd. Yen (1,5 Mrd. Euro). CVC Capital komplettierte die Übernahme des Pharma-Dienstleisters Sogo Medical für 170 Mrd. Yen (1,05 Mrd. Euro).
Die meisten Transaktionen fanden im zwei- bis dreistelligen Dollar-Millionen-Bereich statt. Als Käufer treten oft geschlossene Private-Equity-Fonds auf. Carlyle etwa sammelte im vergangenen Jahr 430 Mrd. Yen (2,7 Mrd. Euro) und Integral Corporation 250 Mrd. Yen (1,5 Mrd. Euro) an Kapital für solche Japan-Fonds ein.
Geschlossene M&A-Fonds
Aktivistische Investoren engagierten sich ebenfalls auf Rekordniveau. Elliott Management, Value Act, Effissimo Capital und andere erwarben 2024 japanische Aktien im Wert von brutto 1,2 Bill. Yen (7,4 Mrd. Euro). Unter Berücksichtigung ihrer Verkäufe lag das Nettokaufvolumen der Aktivisten bei mindestens 500 Mrd. Yen (3,1 Mrd. Euro).
Das tatsächliche Volumen war laut Bloomberg vermutlich noch deutlich höher, da viele Transaktionen gar nicht öffentlich gemacht werden. Insgesamt waren die Aktivisten 2024 die größten Käufer von japanischen Aktien, nach den Unternehmen mit ihren Aktienrückkäufen für 7,3 Bill. Yen (45 Mrd. Euro).
Diese Investoren halten nach einer Bloomberg-Schätzung inzwischen japanische Aktien im Wert von 4,8 Bill. Yen (30 Mrd. Euro). Der größte einzelne aktivistische Investor ist die japanisch geführte Effissimo Capital Management in Singapur mit großen Anteilen am Schifffahrtsunternehmen Kawasaki Kisen Kaisha, dem Versicherer Dai-ichi Life und dem Kopiererhersteller Ricoh. Zuletzt kaufte Effissimo 2,5% von Nissan. Die britische Silchester hält Anteile an mehr als 30 japanischen Firmen, darunter vom Bauriesen Taisei und vom Mischkonzern Sumitomo Heavy Industries.
Allein der weltgrößte Aktivisten-Fonds Elliott Management von Milliardär Paul Singer verstärkte seine Präsenz in Japan 2024 mit vier neuen Investitionen, darunter eine 2-Mrd.-Euro-Wette auf den Technologie-Investor Softbank Group, eine Beteiligung am Handelshaus Sumitomo von mehreren 10 Mrd. Yen (62 Mill. Euro), der Kauf von 5% der Anteile von Tokyo Gas und ein Einstieg beim Immobilien-Entwickler Mitsui Fudosan. Im Gegensatz dazu tätigte Elliott von 2020 bis 2023 nur drei Investitionen in Japan.
2024 kam es auch vermehrt zu unaufgeforderten Übernahmeangeboten. Der bekannteste Fall ist das Angebot der kanadischen Alimentation Couche-Tard für den Einzelhändler Seven & i. Nach Abwehrmaßnahmen des Betreibers der 7-Eleven-Kette erhöhte Couche-Tard die Offerte deutlich. Auch Bieterschlachten sind ein neues Phänomen für Japan: Dai-ichi Life boxte M3 als Käufer von Benefit One weg, Bain Capital und KKR kämpfen seit Monaten um Fuji Soft. Solche Taktiken galten in Japan einst als Tabu, wurden jedoch seitens des Wirtschaftsministeriums METI durch eine Änderung der M&A-Richtlinien offensiv gefördert.
Klarere M&A-Richtlinien
Seitdem soll ein Ausschuss der externen Direktoren des Unternehmens Kaufangebote prüfen und bei seiner Entscheidung die „Optimierung des Unternehmenswertes“ beachten. Dieser Wert wurde als „Summe der Gegenwartswerte der abgezinsten zukünftigen Cashflows“ erstmals definiert. Die klareren Regeln erhöhen die Chance, dass ein unaufgefordertes oder feindliches Angebot zu einer erfolgreichen Übernahme führt. Allerdings sollten ausländische Akteure nicht mit der Brechstange vorgehen. „Ein offener Markt ist nicht automatisch ein einfacher Markt, im Gegenteil“, warnt Jochen Legewie, Japan-Chef des M&A- und Kommunikations-Beraters Kekst CNC.
Auch der Weg zu mehr Shareholder Value scheint noch weit zu sein. Die Kapitalrendite der rund 2.200 Unternehmen im Topix ist im Schnitt nur halb so hoch wie beim S&P 500, trotz neuer Rekorde bei Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe. Die Marktprognosen liegen bei 9,0% in 2024 und 8,6% in 2025. Für eine Rendite von 12% müssten die Unternehmen nach einer Kalkulation von Pictet Japan in diesen zwei Jahren ihre Ausschüttungen um insgesamt 187 Bill. Yen (1,1 Bill. Euro) steigern.