Alarmsignale
Die Alarmsignale für eine neue Eskalation des Wirtschaftskriegs zwischen Russland und Westeuropa werden unübersehbar. Ein ernsthafter Gasengpass zeichnet sich ab. Gerade erst hat die Bundesregierung die Kontrolle über das für die hiesige Wirtschaft bedeutende Gasunternehmen Gazprom Germania übernommen. Schon wird Berlin über die Umwandlung des Milliardendarlehens der KfW in Eigenkapital wohl faktisch Mitgesellschafter bei der Deutschland-Tochter des russischen Staatskonzerns – was einer Verstaatlichung gleichkommt. Der direkte Zugriff auf Gashandel, Netz und Speicher kann aber kurzfristig nichts an der Abhängigkeit vom russischen Importgas ändern.
Auch wenn andere Gründe vorgeschoben werden: Moskau hat auf die Verstaatlichung und die zahlreichen Sanktionspakete sowie die Waffenlieferungen an die Ukraine jetzt abermals mit einer Gegenmaßnahme reagiert. Die Lieferungen des Staatskonzerns Gazprom durch die für Europa wichtigste Gaspipeline Nord Stream 1 fallen seit Donnerstag um 60 % geringer aus. Die Leitung liefert aber gewöhnlich ein Drittel des russischen Importgases, das wiederum 40 % der gesamten europäischen Versorgung ausmacht. Deshalb ist der Benchmark-Preis für Gas in Europa jetzt um zeitweise 30,5 % nach oben geschnellt und hat damit ein Niveau wie zu Beginn des Krieges erreicht. Die deutschen und westeuropäischen Unternehmen sind nun abermals gezwungen, sich mit dem Szenario vollständig ausbleibender russischer Gaslieferungen auseinanderzusetzen.
Die Knappheit hat das Potenzial, die globalen Märkte für LNG – also per Tanker angeliefertes Flüssiggas – unter starken Aufwärtsdruck zu setzen. Dazu trägt allerdings auch der Stopp einer großen LNG-Anlage in Texas nach einem Brand bei. Die Anlage in Freeport hatte in den vergangenen Monaten 70 % ihrer Ladungen nach Europa geliefert. Das kommt jetzt zur Unzeit, wo die intensive Hitze in Europa die Nachfrage nach Gas zur Kühlung in die Höhe treibt. Europa muss nun härter mit asiatischen Käufern konkurrieren, um sich verfügbare LNG-Lieferungen zu sichern, die die Speicher auffüllen, bevor die Nachfrage im Winter den Höhepunkt erreicht.
Der Wirtschaftskrieg gegen Russland mag das richtige Mittel sein, um die Freiheit zu verteidigen. Doch ein ökonomischer Konflikt birgt kaum weniger das Risiko einer verheerenden Eskalation als der Krieg mit Waffen. Wer das Risiko eingeht, muss gut abwägen. Wer zu weit geht, löst zwar keine nukleare Explosion aus – wohl aber zusätzliche Inflation und eine tiefere Rezession.