Amerikas Aktionäre sind auf Krawall gebürstet
Amerikas Aktionäre sind auf Krawall gebürstet
Auf den Hauptversammlungen der US-Unternehmen wird es laut. Denn nicht nur Aktivisten machen verstärkt Druck auf Verwaltungsräte – Auch Stimmrechtsberater machen ihrem Unmut über CEO-Vergütungen Luft.
Von Alex Wehnert, New York
Amerikas Biker-Ikone bereitet sich auf eine Barschlägerei vor. Denn der zweitgrößte Aktionär, die New Yorker Investmentgesellschaft H Partners, macht bei Harley-Davidson Stress. Das Fondshaus, das mit 9% an dem Motorradhersteller beteiligt ist, fordert vor der Hauptversammlung am 14. Mai die Absetzung dreier langjähriger Direktoren aus dem achtköpfigen Verwaltungsrat des Unternehmens. Nachdem Harley-Davidson „fast jedes Ziel ihres strategischen Plans“ verpasst habe, müsse auch auf CEO-Ebene unmittelbar eine Veränderung her. Vorstandschef Jochen Zeitz hatte zuletzt nach fünf Jahren auf dem Spitzenposten seinen Rücktritt angekündigt. Bis ein neuer Firmenlenker gefunden ist, soll der ehemalige Puma-Vorsitzende Harley-Davidson weiter führen – H Partners will so lange aber nicht warten.

Zu Monatsbeginn trat mit Jared Dourdeville der Abgesandte der New Yorker Investmentgesellschaft Knall auf Fall aus dem Verwaltungsrat zurück und monierte einen „Kulturschwund“ bei dem Motorradhersteller. Unter Zeitz, der das Unternehmen durch die Corona-Pandemie steuerte, ist Harley-Davidson zwar profitabler geworden. Doch der Absatz sinkt, wobei die Biker-Ikone auf schwierige Bedingungen in einem nach wie vor von einem hohen Zinsniveau und einer eingetrübten Konsumstimmung geprägten Markt für Powersports-Fahrzeuge verweist.
Direktoren unter Druck
Das Unternehmen tut sich insbesondere schwer damit, jüngere Fahrer anzusprechen – Händler beschweren sich seit Monaten über das Inventar, das sich bei ihnen aufstaut. Im ersten Jahr unter Zeitz' Führung legte die Harley-Aktie im Zuge der allgemeinen Markterholung von der Corona-Pandemie noch steile Kursgewinne hin. In den vergangenen vier Jahren hat sie aber 45% ihres Werts verloren.

Dourdeville schimpft, dass der Verwaltungsrat trotz interner Beschwerden über Zeitz keine Eile bei der Nachfolgersuche an den Tag gelegt habe. Drei Kandidaten für den CEO-Posten hätten die Direktoren interviewt, keiner von ihnen habe ein Jobangebot erhalten. Das Unternehmen hält dagegen, dass die öffentliche Kritik Bemühungen um einen neuen Vorstandschef nicht eben förderlich sei und damit einen langfristigen strategischen Umschwung gefährde.
Mit ihrer „Withhold the Vote“-Kampagne will H Partners Aktionäre nun dazu bewegen, sich bei der Abstimmung zur Bestätigung der seit 29 Jahren im Verwaltungsrat präsenten ehemaligen Viacom-Managerin Sara Levinson, dem in der Motorindustrie erfahrenen, seit 17 Jahren amtierenden Direktor Tom Linebarger und von Zeitz selbst, der seit 18 Jahren im Board sitzt, zu enthalten. Gewinnen sie weniger als 50% der Stimmen, müssen sie gemäß Satzung zurücktreten – die laute und aggressive H Partners hat keine Gegenkandidaten aufgestellt.
Günstiger Weg für Aktivisten
Die Anwaltskanzlei Olshan Frome Wolosky sieht „Withhold the Vote“-Kampagnen als effektive Taktik, um öffentlich Sorgen über die Unternehmensstrategie anzumelden und den Verwaltungsrat unter Druck zu setzen. Im Vergleich zu einem Stimmrechtskampf, bei der Anteilseigner eigene Kandidaten ins Board zu hieven und andere Aktionäre proaktiv von ihren Initiativen zu überzeugen suchen, sei dieser Weg günstiger und weniger komplex.
Umfragen des Center for Board Matters der Beratungsgesellschaft EY zeigen, dass „Withhold the Vote“-Kampagnen an Beliebtheit gewinnen: Nahezu die Hälfte der 47 befragten Stewardship-Beauftragten aus der Fondsszene gaben im Vorlauf zur Hauptversammlungssaison 2025 an, die Enthaltungsstrategie könne ebenso wie die aktive Nominierung von Direktoren künftig zum bevorzugten Weg werden, um strategische Änderungen bei Unternehmen zu forcieren. Dabei widersprachen lediglich 18%, 35% enthielten sich.
Aktivität zieht an
Amerikas Unternehmen müssen sich damit auf vielschichtigere Attacken ihrer auf Krawall gebürsteten Aktionäre einstellen. Laut Barclays haben Shareholder-Aktivisten allein im ersten Quartal 70 neue Kampagnen angestoßen, gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeute dies einen Anstieg um 17%, wobei die anziehende Marktvolatilität die Aktivität nicht gebremst habe. In den USA nahm die Zahl der Attacken gar um 43% auf 40 zu. Dabei werden die Aktivisten auch bei größer angelegten „Proxy Fights“ erfolgreicher: Im bisherigen Jahresverlauf hätten sie bereits 51 Sitze in Verwaltungsräten gewonnen, 34% mehr als zum gleichen Zeitpunkt 2024.
In der anstehenden Hauptversammlungssaison stellen sich Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Industrien auf harte Auseinandersetzungen ein – vom britischen Ölriesen BP über den US-IT-Konzern Hewlett Packard Enterprise bis hin zum Software-Anbieter Autodesk. Veränderungen im Board sind das Ziel des Großteils der Aktivisten. Nachdem sich laut der Investmentbank Lazard im vergangenen Jahr global deutlich mehr Aktionäre für Fusionen und Übernahmen einsetzten als historisch üblich, ist der Anteil der neuen M&A-Kampagnen laut Barclays im ersten Quartal mit 26% deutlich unter den Vier-Jahres-Durchschnitt von 45% gefallen.
Zerschlagungen und Aufspaltungen gefordert
Doch pochen Aktivisten in größerem Umfang auf Aufspaltungen und Zerschlagungen von Unternehmen. Mit Honeywell kündigte eins der letzten großen Industriekonglomerate auf Druck des Investmentmanagers Elliott im Februar an, das Geschäft mit Automatisierungstechnik und die Luft- und Raumfahrtsparte voneinander trennen zu wollen. Derweil drängt der von Milliardär Nelson Peltz geführte Hedgefonds Trian das Healthcare-Unternehmen Solventum, das zuletzt sein Filtergeschäft für 4,1 Mrd. Dollar an Thermo Fisher Scientific verkaufte, zu einer weiteren Vereinfachung.
Besonders aufgeheizt hat sich der Konflikt zwischen Elliott, dem global wohl umtriebigsten Shareholder-Aktivisten, und dem Ölraffineriebetreiber Phillips 66. Die Investmentfirma drängt auf eine Veräußerung des Midstream-Geschäfts des Unternehmens, das an seiner aktuellen Strategie festhalten will. Elliott hat eine Beteiligung von 2,5 Mrd. Dollar an Phillips 66 aufgebaut und vier Direktoren sowie drei alternative Kandidaten für den Verwaltungsrat nominiert. Bei der Hauptversammlung im Mai stehen nur wenige Board-Sitze zur Disposition, Elliott klagt deshalb bereits wegen der Verletzung von Aktionärsrechten. Phillips 66 habe keine ausreichenden Informationen zu der Abstimmung über den Verwaltungsrat vorgelegt – das Unternehmen müsse bestätigen, dass mindestens vier Sitze im Gremium frei würden. Der Raffineriebetreiber hat inzwischen selbst vier neue Direktoren nominiert.
Politik verkompliziert Konflikte
In einigen Fällen verkompliziert das politische Umfeld den Stimmrechtskampf. Ancora Holdings hat ihre Kampagne bei US Steel fallengelassen. Der Aktivist trat im Januar auf den Plan, nachdem US-Präsident Joe Biden eine Übernahme der Industrieikone durch Nippon Steel unter Verweis auf nationale Sicherheitsbedenken blockiert hatte. Ancora drängte darauf, CEO David Burritt durch den ehemaligen Chef der kanadischen Stelco, Alan Kestenbaum, zu ersetzen. Doch nachdem Bidens Nachfolger Donald Trump eine neue Prüfung des Nippon-Deals anordnete, zog der Aktivist seine neun Nominierungen für den Verwaltungsrat zurück.

Die Turbulenzen bei US Steel dürften laut Analysten aber noch lange nicht ausgestanden sein. Denn auch Unternehmen, die Stimmrechtskämpfen mit Aktivisten von der Klinge springen, müssen sich mit anderen Aggro-Aktionären auseinandersetzen. Pfizer hat einen „Proxy Fight“ mit Starboard Value zuletzt zwar vermeiden können. Die einflussreichen Stimmrechtsberater von Institutional Shareholder Services raten Anteilseignern aber davon ab, auf der Hauptversammlung des Pharmakonzerns am 24. April die Vergütungspakete für das Management freizugeben. Die Offenlegungen zu Performance-abhängigen Gehaltskomponenten für 2024 wiesen Mängel auf, die Ziele für den Cash-flow seien zu niedrig angesetzt.
Goldman in der Klemme
Goldman Sachs steckt in einer ähnlichen Klemme. Bei dem Geldhaus haben hohe Boni für CEO David Solomon und Chief Operating Officer John Waldron für Entrüstung unter Aktionärsvertretern gesorgt. Das Geldhaus hat die beiden Spitzenmanager mit Sondervergütungen in Form von Bezugsrechten für Aktien im Gegenwert von jeweils 80 Mill. Dollar gebunden, die sie über fünf Jahre ausüben können. Diese kommen zu den Entlohnungspaketen in Höhe von 39 bzw. 38 Mill. Dollar hinzu, die der Vorstandschef und der zweite Mann in der Bank für das Geschäftsjahr 2024 einfahren. Waldron ist zudem neben Solomon als zweites Mitglied des Management Committee in den Verwaltungsrat von Goldman aufgerückt und erhält ausgeweitete persönliche Nutzungsrechte für den Firmenjet.

Der Stimmrechtsberater Glass Lewis hat bezüglich der Entlohnung der Spitzenkräfte „ernste Bedenken“ angemeldet. Der „schockierende“ Mangel an transparenten Informationen zu den Vergütungen sei Grund genug, auf der Hauptversammlung am 23. April in Dallas gegen die Pakete zu stimmen. Zwar gebe es Gerüchte über Abwerbungsversuche der Konkurrenz bei Goldman-Spitzenmanagern, bezog sich Glass Lewis auf Medienberichte über ein 500 Mill. Dollar schweres Angebot, das Apollo Global Waldron vorgelegt haben soll. Die Bank habe dazu aber lediglich Allgemeinplätze verlautbart.
Ein ablehnendes Votum der Aktionäre zu den Kompensationsplänen wäre für Goldman zwar nicht bindend, aber eine peinliche Niederlage. In den vergangenen Jahren hat lediglich J.P. Morgan eine solche Schlappe erlitten. Die Bank kündigte an, keine Sondervergütungen für den Vorstandschef mehr auflegen zu wollen, nachdem die Anteilseigner auf dem Aktionärstreffen 2022 gegen eine Prämie im Gegenwert von 50 Mill. Dollar für den langjährigen CEO Jamie Dimon auf die Barrikaden gingen. Auf den anstehenden Hauptversammlungen der US-Unternehmen dürfte es laut Analysten noch lauter werden als damals beim größten amerikanischen Geldhaus.