Fritzi Köhler-Geib

Außenhandel resilient und anpassungsfähig gestalten

Deutschland ist gemessen an seiner Größe eine außergewöhnlich offene Volkswirtschaft. Daran hat auch die Coronakrise qualitativ nichts geändert. Der Wert der Exporte relativ zum Bruttoinlandsprodukt verzeichnete 2020 einen Rückgang um 3...

Außenhandel resilient und anpassungsfähig gestalten

Deutschland ist gemessen an seiner Größe eine außergewöhnlich offene Volkswirtschaft. Daran hat auch die Coronakrise qualitativ nichts geändert. Der Wert der Exporte relativ zum Bruttoinlandsprodukt verzeichnete 2020 einen Rückgang um 3 Prozentpunkte von 47% im Jahr zuvor. Auf diesem Niveau hatte sich die Exportquote seit dem Jahr 2012 eingependelt, nachdem sie von 1993 bis zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise kontinuierlich gestiegen war. Entsprechend fielen die Impulse des Außenbeitrags für das Wirtschaftswachstum in den letzten acht Jahren geringer aus. Dank einer starken Binnennachfrage hat die oft kritisierte Exportabhängigkeit etwas nachgelassen. Aber dennoch arbeiten etwa ein Viertel der Erwerbstätigen hier zu Lande für den Export.

Die Coronakrise war nicht der einzige belastende Faktor für den internationalen Handel. Er war schon zuvor angezählt. Die Handelskonflikte und die damit verbundene Unsicherheit hinterließen ebenso wie die globale Investitionsschwäche ihre Spuren – auch im deutschen Außenhandel, zumal die internationale Industriekonjunktur aus deutscher Sicht ungünstig verlief. Der Warenhandel nahm im Jahr 2019 preisbereinigt nur um 1,3% zu. Die deutsche Industrie befand sich schon seit 2018 in einer historisch langen Rezession. Dann kam 2020 noch die Coronakrise hinzu. Innerhalb kürzester Zeit wurden die wichtigen Handelspartner Deutschlands von der Pandemie erfasst. Strikte Eindämmungsmaßnahmen im vergangenen Frühjahr schränkten die Geschäftstätigkeit sowohl in den Ziel- und Herkunftsländern als auch in Deutschland ein. An seinem tiefsten Punkt im April 2020 lagen der Wert der Warenexporte 31% und der Wert der Importe 19% unter dem jeweiligen Vorkrisenniveau vom Februar. Trotzdem hätte es für den Außenhandel in der aktuellen Krise noch schlimmer kommen können. Denn die Besonderheit der Coronakrise ist, dass sich ein wesentlicher Teil der Rezession in den Dienstleistungsbereichen abspielte, die wegen der Eindämmungsmaßnahmen und Verhaltensänderungen stärker getroffen wurden als sonst in Rezessionen üblich. Entsprechend erholt sich in Deutschland und auch global der Warenhandel schneller als der Dienstleistungshandel.

Besonders hart traf die Krise den Investitionsgüterexport Deutschlands. Trotz der Aufholjagd seit April gestaltete es sich für ihn entsprechend schwieriger als für den Export von Vorleistungen oder Gebrauchsgütern, an die Vorjahresentwicklung anzuknüpfen, und er hat Anteile am gesamten Exportwert Deutschlands eingebüßt. Dies klingt zunächst so, als wäre Deutschland wegen seines Handelsschwerpunkts im Nachteil. Schließlich waren

Kraftfahrzeuge und Maschinen zusammen für rund ein Drittel des Exportwerts im Jahr 2019 verantwortlich. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass der deutsche Außenhandel relativ stark diversifiziert ist, wenn enger gefasste Gütergruppen betrachtet werden. In Bezug auf seine Handelspartner ist Deutschland sogar noch breiter aufgestellt. In acht Länder gehen jeweils moderate Anteile von 5 bis 9% der deutschen Exporte. Die drei wichtigsten Zielländer USA, China und Frankreich liegen zudem geografisch und strukturell weit auseinander, was die Diversifikation erhöht.

Diesen Vorteil eines diversifizierten Außenhandels gilt es weiter zu nutzen und auszubauen. Selbst in einer globalen Rezession wie der vergangenen kommen die Handelspartner unterschiedlich schnell durch die Krise, sodass die geografische Diversifizierung ihre positive Wirkung entfalten konnte. Eine Vielzahl von Exportgütern und Exportmärkten erhöht im Regelfall die Stabilität von Volkswirtschaften. Denn die heimische Produktion oder Nachfrage kann genauso von Schocks getroffen werden wie die der Handelspartner. Dann sind Ausweich- und Kompensationsmöglichkeiten von Nutzen. Und auch die grundsätzlichen Vorteile der internationalen Arbeitsteilung, wie eine höhere Effizienz, sind weiter vorhanden. Schließlich ist der Außenhandel kein Selbstzweck, sondern dient der Wohlstandsmehrung in den beteiligten Ländern.

Handlungsbedarf der Politik

Den Rahmen dafür, wie die Unternehmen ihre internationalen Wertschöpfungsketten und Handelsbeziehungen ausgestalten, setzt die Politik. Hier gibt es sicher Handlungsbedarf, erwartet doch ein Drittel der mittelständischen Unternehmen eine stärkere Regionalisierung der Produktion oder Dienstleistungserstellung als Folge der Coronakrise. Der europäische Binnenmarkt ist eine partielle Versicherung gegen protektionistische Tendenzen und seine weitere Vertiefung daher im deutschen Interesse. Er sichert einen freien Zugang zu vielen wichtigen Exportzielen. Aber es ist auch wichtig, dass Institutionen, die die Krisenfestigkeit der Europäischen Union stärken, weiterentwickelt werden. Die Einigung über den „Recovery Fund“ der EU war dabei ein großer Schritt, insbesondere, weil der Schwerpunkt auf einer nachhaltigen Mittelverwendung zur Förderung von Digitalisierung und Klimaneutralität liegt.

Strukturell sind gerade für den deutschen Außenhandel mit seinem Investitionsgüterschwerpunkt die Themen Digitalisierung und Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft entscheidend. Immer mehr Länder verpflichten sich dem Ziel der Klimaneutralität, was Deutschland als zweitgrößtem Exporteur von Klimaschutzgütern hinter China Wachstums- und Beschäftigungspotenziale eröffnet. Durch wirtschaftspolitische Maßnahmen, die Innovation und den Aufbau von Fähigkeiten und Fertigkeiten unterstützen, lassen sich die anstehenden Strukturveränderungen erleichtern. Zugleich kann die Wirtschaftspolitik bei Aspekten wie geförderter Finanzierung, verlässlichen Rahmenbedingungen und einer geeigneten Infrastruktur sehr gut ansetzen.

Dr. Fritzi Köhler-Geib ist seit November 2019 Chefvolkswirtin der KfW und leitet die volkswirtschaftliche Abteilung der Bankengruppe.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

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