Ein Fehler und es ist vorbei
Ein Fehler mit Kundendaten und es ist vorbei
Künstliche Intelligenz bringt der Finanzbranche Hoffnung und neue Risiken.
Von Andreas Hippin, London
Das Thema künstliche Intelligenz ist in der City of London zwar seit der Markteinführung von ChatGPT in aller Munde. Doch ist es ziemlich undurchsichtig, wer bereits in welchem Umfang generative KI-Anwendungen verwendet. Ein Blick auf die in solchen Fragen traditionell konservative Assetmanagementbranche zeigt, dass die Vorbereitungen darauf schon weit vorangeschritten sind.
Knapp die Hälfte der von der Boston Consulting Group befragten Branchenvertreter gab an, ihr Unternehmen habe bereits mehr als zehn Anwendungsmöglichkeiten priorisiert. Bei 27% befindet sich bereits mindestens eine im Einsatz. Weitere 39% wollen innerhalb von sechs Monaten so weit sein. Mehr als zwei Drittel erwarten wesentliche, wenn nicht gar transformative Auswirkungen der Technologie auf ihr Geschäft.
Große Investitionskosten
Die mit steigenden Kosten und sinkenden Margen konfrontierten Vermögensverwalter versprechen sich von der neuen Technologie Entlastung. Doch ist die Einführung mit hohen Investitionen verbunden. „Jeder will in KI investieren, aber woher soll das Geld dafür kommen?“, fragt Trevor Schulze, Chief Information Officer des KI-Plattformanbieters Alteryx. „Es ist fast so, als ob man es sehen, aber nicht berühren kann.“
Der IT-Branchenveteran war im Laufe seiner Karriere Global CIO des US-Speicherchipherstellers Micron und kümmert sich nicht nur um Firmen der Finanzbranche. Manche Unternehmen hätten damit zu kämpfen, den Cashflow auszubalancieren. Manche hätten Mitarbeiter entlassen, um Investitionen in Technologie zu finanzieren.
„Modelle von Grund auf selbst zu bauen ist sehr teuer“, sagt der KI-Berater Alex Dollery, der zuvor als Director AI & ML Services, Product Management bei der London Stock Exchange Group fungierte. „Man kann das zwar machen, aber es dauert lange, sie upzudaten.“ Andererseits böten kleine Modelle eine Menge Vorteile.
Bankanbindung bringt Vorteile
Mit Großbanken verbundene Assetmanager sind im Vergleich zu unabhängigen Anbietern im Vorteil. Sie können auf eine IT-Infrastruktur zurückgreifen, die sie sich sonst nicht leisten könnten.
„Die Einführung von KI kann für Firmen der Finanzbranche erhebliche Investitionen erforderlich machen“, sagt Euan Munro, CEO von Newton (BNY Investments). BNY hatte als erste Großbank einen Nvidia DGX Superpod. Dabei handelt es sich um eine Rechenzentrumslösung, die eine beschleunigte Infrastruktur für KI und High-Performance Computing bietet.
Sprachmodelle im Einsatz
„Wir nutzen große Sprachmodelle (LLMs, Large Language Models) und Newtons proprietären Research als Hilfsmittel, um Fragen wie die folgenden schneller beantworten zu können: Welche Unternehmen können uns Exposure zu bestimmten Märkten verschaffen? Das Geschäft welcher Firmen könnten von Wahlen beeinflusst werden?“, erklärt Munro. Das könne Analysten und Researchern dabei helfen, Chancen und Risikoquellen zu identifizieren. „Wir nutzen KI, um scharfsichtiger zu werden“, sagt Munro. „Wir glauben absolut nicht, dass Maschinen Menschen ersetzen werden.“
Viele Assetmanager nutzen die neue Technologie, um sich die tägliche Flut von Broker-E-Mails zusammenfassen zu lassen. Sie wird auch gerne als „Copilot“ und Ideengeber verwendet, vor allem von jüngeren Mitarbeitern. Mancherorts werden Meetings von KI-Anwendungen mitverfolgt, deren Protokolle auf Dinge aufmerksam machen können, die sonst unter den Tisch gefallen wären.
KI fehlt Urteilsvermögen
„Ich glaube nicht, dass man schon irgendwo in der Fondsbranche KI auf einem weit fortgeschrittenen Niveau einsetzt“, sagt der Portfoliomanager Alan Edington von Walter Scott (BNY Investments). Er habe ein Tool, das Research und Expertenmeinungen aggregiert. „Es macht das sehr gut und ist sehr hilfreich“, sagte Edington. „Es spart viel Zeit. Wir sind aber noch weit davon entfernt, dass es uns erklären könnte, was die richtige Anlageentscheidung ist.“
Jeffrey Lin, der Fondsmanager des M&G Global AI Themes Fund, nutzt KI, um den täglichen Informationsschwall auszuwerten. Er verwendet für seine Investmententscheidungen ein traditionelles Bottom-up-Modell. „Dazu braucht man viel Urteilsvermögen“, sagt Lin. „KI ist derzeit nicht dazu in der Lage.“
Einsatz zur Betrugsbekämpfung
Banken setzen KI zur Betrugsbekämpfung ein, etwa um im Transaction Banking ungewöhnliche Vorgänge herauszufiltern. Manche Mitarbeiter der Finanzbranche verwenden KI, um sich Verbesserungsvorschläge für längere E-Mails geben zu lassen. Vor allem im Homeoffice dürfte so manches zwischen privaten und dienstlichen Anwendungen hin und her kopiert werden. Das eröffnet neue Risiken. „Ein Fehler bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit eines Kunden und es ist vorbei“, sagt der Chef des Firmenkundengeschäfts einer internationalen Großbank.
In der Hedgefondsbranche ist die Zurückhaltung vergleichsweise groß, was Leser von Robert Harris‘ Thriller „Angst“ (The Fear Index) überraschen mag. Das liegt an der zunehmenden Regulierung des Geschäfts und dem Wunsch der Anleger nach mehr Transparenz.
Falsche Antworten
Schon wenn man bei ihrer Firma für eine Strategie „alternative Daten“ wie etwa Wetterdaten einsetzen wolle, müsse das vom Investmentkomitee genehmigt werden, sagt Grace Lo, Chief Risk Officer beim Quant-Fonds Campbell & Co. Sie versuche mithilfe von KI, Ideen aus Sell-Side-Veröffentlichungen herauszufiltern.
ChatGPT liefere „mit großem Selbstbewusstsein falsche Antworten“, sagt Lo. Zudem bestehe die Gefahr, dass durch die Nutzung von generativer KI geistiges Eigentum abfließe. „Für gut definierte, sich wiederholende Aufgaben funktioniert es gut“, fügt Lo hinzu. Die Personalabteilung nutze ChatGPT, um in Vorstellungsgesprächen bessere Fragen stellen zu können.
Enorme Rationalisierungsmöglichkeiten
Generative KI bringt enorme Möglichkeiten zur Rationalisierung der Arbeitsabläufe. Bereits im vergangenen Jahr kam eine Accenture-Studie zu dem Schluss, dass bei Banken 54% der Arbeitsplätze großes Automatisierungspotenzial hätten. Bei Versicherern waren es 48%.
Die optimistische Version sieht so aus: Die Betroffenen werden künftig mehr Zeit haben, interessantere Dinge zu tun, weil die KI langweilige und repetitive Tätigkeiten übernimmt. „Uns wird die Arbeit nicht ausgehen“, sagt Dollery. Am Ende handele es sich um ein Ökosystem, das für alle funktionieren müsse. Wenn alle ihre Jobs verlören, könne sich auch niemand mehr einen BMW kaufen.
„Erica“ im Dauereinsatz
Bei der Bank of America ist seit 2018 der virtuelle Assistent „Erica“ im Einsatz. Seitdem hat er mehr als 800 Millionen Anfragen von 42 Millionen Kunden beantwortet. Das Institut hat die zugrunde liegende Technologie im vergangenen Herbst für die Firmenkundenplattform Cashpro übernommen, mit deren Hilfe mehr als 40.000 Geschäftskunden ihre Treasury-Aktivitäten managen.
Man müsse leider davon ausgehen, dass die Junior-Analysten, die sich bislang Konferenzen von Unternehmen zu Quartalsergebnissen anhörten und von KI abgelöst werden, künftig nicht mehr Zeit für tiefgreifendes Research haben werden, sagt Kier Boley, Co-Chef und Chief Investment Officer Alternative Investment Solutions bei Union Bancaire Privée. Wahrscheinlicher sei, dass Arbeitgeber auf diese Kostenebene verzichten.