Boom bei Defense-ETFs trotz ESG-Debatte
Boom bei Defense-ETFs trotz ESG-Debatte
Rüstungs-Investments erleben einen Boom: Milliarden fließen in sicherheitsbezogene Anlagen. Anleger sehen Renditechancen – und stellen sich Fragen zu Risiko und Ethik.
Von Wolf Brandes
Rüstungs-ETFs erleben 2024/25 einen beispiellosen Boom. Innerhalb weniger Monate sammelten neue Fonds wie der WisdomTree Europe Defence über eine Milliarde Dollar ein, während Produkte von HANetf, VanEck oder BlackRock inzwischen mehrere Milliarden verwalten.
Geopolitische Zeitenwende als Katalysator
Der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 markierte eine sicherheitspolitische Zeitenwende für Europa – und zugleich einen Richtungswechsel an den Finanzmärkten. Jahrzehntelang galt der Verteidigungssektor in weiten Teilen der Fondsbranche als ethisch bedenklich. Doch die Debatte hat sich verschoben: Sicherheit wird heute nicht mehr als Gegensatz zur Nachhaltigkeit verstanden, sondern zunehmend als deren Voraussetzung.
Die Zahlen sprechen für sich: Europas Militärausgaben stiegen 2024 um 17% auf mekr als 600 Mrd. Dollar – so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In Deutschland wurde ein gewaltiges Sondervermögen für die Bundeswehr aufgelegt. Die NATO-Staaten haben ihre Verteidigungsausgaben kräftig erhöht: 18 von 32 Mitgliedern erfüllen inzwischen das 2-Prozent-Ziel, doppelt so viele wie noch 2023.
Investoren suchen neue Vehikel
In diesem Spannungsfeld suchen Investoren zunehmend nach Vehikeln, um gezielt in Sicherheits- und Verteidigungstechnologie zu investieren – sowohl als Absicherung gegen geopolitische Risiken als auch als Renditequelle in einem politisch gestützten Wachstumsmarkt. Verteidigung wird zunehmend als strategischer Sektor begriffen, vergleichbar mit Energie oder Infrastruktur. Themen-ETFs auf Rüstung bieten hier einen direkten Zugang. Sie ermöglichen es, mit einem Klick in ein diversifiziertes Portfolio zu investieren – darunter Hersteller von Panzern, Kampfflugzeugen, Kommunikationssystemen oder Cyberabwehrtechnologien.
Diese Dynamik schlägt sich unmittelbar in ETF-Volumina und Renditen nieder. Besonders gefragt sind Produkte mit explizitem Verteidigungsfokus. Der VanEck Defense erreichte ein Fondsvolumen von rund 4,4 Mrd. -Dollar, bei einer Jahresperformance 2024 von +52,7%. Auch der „Future of Defence“ von HANetf und der „Europe Defence UCITS ETF“ von WisdomTree legten deutlich zu. „Die Wertentwicklung des VanEck Defense ETF wird unweigerlich von den Verteidigungshaushalten der Regierungen und den sicherheitspolitischen Entscheidungen in den wichtigsten Märkten beeinflusst“, sagt Alessandro Valentino, Produktmanager bei VanEck. Zugleich verweist er auf die Risiken: „Die Beschaffungszyklen im Verteidigungsbereich können anfällig für Finanzierungskürzungen oder -überschreitungen sein, und Unterbrechungen dieser Programme können zu negativen Gewinnrevisionen und Wertverlusten des ETF führen.“
Ebenfalls etabliert ist der iShares U.S. Aerospace & Defense ETF, der rund 5,5 Mrd. Dollar verwaltet. Er investiert in Branchengrößen wie Lockheed Martin, Boeing und Raytheon Technologies. Der ETF profitiert von einer langjährigen Markterfahrung, hohen Liquidität und breiten Abdeckung der US-Rüstungsindustrie.
Insgesamt 10 Milliarden Dollar
Insgesamt summiert sich das Volumen der in Europa am Markt gehandelten Defence-ETFs inzwischen auf fast 10 Mrd. Dollar. Thematische ETFs wie jene auf Rüstungswerte gelten als Satellitenpositionen in der Portfolioallokation. Sie dienen dem gezielten Engagement in strukturelle Trends, sind aber aufgrund ihrer Sektorkonzentration und Volatilität nicht als Core-Baustein geeignet. Die ETF-Anbieter versuchen dennoch, über geografische und technologische Streuung ein ausgewogenes Risikoprofil zu bieten.
VanEck vertritt den Standpunkt, dass der Defense ETF Investitionen in Unternehmen ermöglichen, die mit der nationalen Verteidigung und Sicherheit betraut sind. "Mit anderen Worten, in Firmen, auf die sich demokratische Regierungen verlassen, um ihre Bürger zu schützen und Aggressionen abzuschrecken – und nicht als Mittel, um von der Kriegsführung zu profitieren.“
Tom Bailey von HANetf erklärt: „Unsere beiden Verteidigungs-ETFs investieren diversifiziert in NATO- und NATO+ Länder, von klassischer Rüstung über Cybersecurity bis hin zu Dual-Use-Technologien“. Auch WisdomTree grenzt explizit Unternehmen aus, die gegen internationale Konventionen oder Sanktionsvorgaben verstoßen.
Ein weiterer Punkt ist laut VanEck-Manager Valentino entscheidend: „Der Defense ETF wendet ein Screening auf umstrittene Waffen an und schließt Unternehmen aus, die an Streumunition, Antipersonenminen, biologischen und chemischen Waffen, abgereichertem Uran, Brandwaffen, weißem Phosphor und Atomwaffen außerhalb des Atomwaffensperrvertrags (NPT) beteiligt sind.“
Bruch mit alten ESG-Ausschlüssen
Kaum ein anderer Bereich hat die Diskussion um nachhaltiges Investieren zuletzt so polarisiert wie die Frage: Ist Rüstung nachhaltig? Bis 2023 lautete die Antwort meist: Nein. Doch seither vollzieht sich ein Wandel. Ende 2024 hat der deutsche Fondsverband BVI gemeinsam mit der Kreditwirtschaft das sogenannte ESG-Zielmarktkonzept überarbeitet: Der pauschale Ausschluss von Rüstungsunternehmen bei mehr als 10 % Umsatzanteil fällt.
Grund dafür sind neue EU-Leitlinien: Die ESMA erlaubt in ihren 2024 veröffentlichten Regeln für Fonds mit ESG-Bezug Investitionen in Verteidigungsunternehmen – solange keine völkerrechtlich geächteten Waffen betroffen sind.
Fondsanbieter im Wandel
Die DWS – einer der größten Asset Manager Europas – vollzieht diese Neuausrichtung mit Vorsicht. ESG-Fonds nach dem „DWS ESG Investment Standard“ bleiben weiter restriktiv und schließen Unternehmen aus, die über 5 % ihres Umsatzes mit Rüstungsgütern erzielen. Für klassische Fonds oder Produkte mit Basisfilter wurden die Ausschlüsse jedoch gelockert.
Philippe Zaouati, CEO der auf Nachhaltigkeit spezialisierten Natixis-Tochter Mirova, geht noch weiter. In einem Positionspapier fordert er, die Debatte neu zu denken: „Sicherheit ist eine Grundbedingung für nachhaltige Entwicklung.“ Sein Vorschlag: Ein Rahmenwerk für „European Defense Bonds“ – analog zu Green Bonds –, um gezielt duale Technologien zu fördern.
ESG vs. Souveränität?
Die Branche beginnt, ESG-Kriterien neu zu definieren. HANetf spricht von einem „evolutionären ESG-Verständnis“: Sicherheit als moralische Verantwortung. Am Ende sind Rüstungs-ETFs nicht nur ein Finanzprodukt, sondern auch ein Seismograf für geopolitische Umbrüche und gesellschaftliche Wertekonflikte. Ihr Aufstieg markiert den Versuch der Kapitalmärkte, sich neu zwischen Sicherheit, Verantwortung und Rendite zu positionieren. Für viele Anleger eröffnen sie erstmals die Möglichkeit, direkt und diversifiziert in einen lange ausgeschlossenen Sektor zu investieren – mit der Chance auf überdurchschnittliche Gewinne, aber auch mit der Herausforderung, eigene ethische Grenzen auszuloten.