Chinas Elektroautos bringen Japans Autobauer ins Schleudern
Chinas Elektroautos bringen Japans Autobauer ins Schleudern
Eine mögliche Kooperation der scharfen Rivalen Honda und Nissan enthüllt das ganze Ausmaß ihrer Nöte.
Von Martin Fritz, Tokio
Eine starke Nachfrage nach Autos mit Hybridantrieb vor allem in den USA und Europa hat Toyota und Honda im abgelaufenen Geschäftsjahr zu beeindruckenden Rekorden bei Gewinn und Umsatz verholfen. Doch hinter dem aktuellen Hybridboom lauern ein Batterieabgrund und das Ende der Rekordfahrten: Mit vielen preisgünstigen und leistungsfähigen Modellen dominieren neben Tesla chinesische Hersteller das Geschäft mit Elektroautos. Damit können die wenigen EV-Modelle aus Japan weder technisch noch preislich konkurrieren.
Einen Erfolg bei der inzwischen gestarteten Aufholjagd der japanischen Hersteller auf China trauen viele Analysten eigentlich nur Toyota zu, weil der Branchenführer die notwendigen Kapital- und Entwicklungsressourcen besitzt. Deshalb lehnen sich Mazda, Suzuki und Subaru mit einem gemeinsamen Weltabsatz von immerhin 9,9 Millionen Fahrzeugen schon länger eng an Toyota an, um möglichst preisgünstig an EV-Know-how und -Technologien zu kommen. Nun zeichnet sich der nächste Schritt zur Konsolidierung ab: Honda und Nissan, im weltweiten Absatz die Nummer 2 und 3 unter den japanischen Autobauern, loten seit März offiziell eine EV-Kooperation bei Software, Kernkomponenten und autonomem Fahren aus.
Wie „Öl und Wasser“
Offenbar drängten Beamte des Tokioter Wirtschaftsministeriums Honda und Nissan bereits vor fünf Jahren zu einer Fusion. Erst mit ihrem gemeinsamen Absatzvolumen von zuletzt 7,6 Millionen Einheiten jährlich verfügten sie nach Einschätzung des Ministeriums über ausreichend Kapital und Technologien, um den Übergang ins Elektrozeitalter zu überstehen. Damals wiesen beide Hersteller die staatliche Bitte zurück, zum einen aus Stolz, zum anderen aufgrund der unterschiedlichen Firmenkulturen. Denn laut einem Branchen-Bonmot sind Honda und Nissan eigentlich so wenig emulgierbar wie Öl und Wasser. Dass beide es nun trotzdem miteinander versuchen wollen, zeigt das ganze Ausmaß ihrer EV-Nöte.
Bei Nissan herrscht bis heute die Kultur, durch Zukäufe und Joint Ventures zu wachsen, während Honda vom Motorrad über das Auto bis zum Flugzeug stets auf Alleingänge setzte. Aber diese Strategien funktionierten zuletzt nicht mehr richtig. Beide Hersteller hatten nicht mit dem EV-Siegeszug in China gerechnet und verloren dort an Marktanteilen. Mittelfristig droht der Rückzug. Nach Informationen der Finanzzeitung „Nikkei“ will Nissan seine Produktionskapazität in China um 30% auf 500.000 Stück und Honda um 20% auf 1,2 Millionen Stück verringern. Nissan-Chef Makoto spricht mittlerweile von einem „Überlebenskampf“ in China.
Neue Partner dringend gesucht
Unter Carlos Ghosn hatte Nissan mit dem „Leaf“ schon 2010 und damit zwei Jahre vor dem Tesla-Modell S das erste Massen-EV auf den Markt gebracht und davon bis 2023 immerhin 650.000 Stück verkauft. Aber das zweite Modell Ariya folgte erst 2022. Zugleich konnte man nicht genügend Hybridmodelle in Nordamerika anbieten, um am aktuellen Boom teilzuhaben. Nach der Verringerung der Kapitalverbindung zu Renault erklärte CEO Makoto Uchida öffentlich, Nissan suche über die alte Allianz hinaus neue Partner. Auf das EV-Joint-Venture mit Renault will er sich offenbar nicht verlassen. „Wir müssen uns drastisch schneller bewegen“, sagte Uchida der „Financial Times“. „Ich weiß nicht, was in einem halben oder ganzen Jahr mit der Industrie passiert.“
Zwar begann das Unternehmen in Yokohama bereits mit dem Bau einer Pilotfertigungslinie für Festkörperbatterien. Der Technologiesprung vom flüssigen zum festen Lithium-Akku soll es den Japanern ermöglichen, mit den Chinesen auf einen Schlag gleichzuziehen. Nissan will 2028 mit der Serienfertigung beginnen, nur ein Jahr nach Toyota, die die meisten Patente für diese Speichertechnik hält. Die neuen Akkus, die Entwicklung von EV-Familien, die Integration von Antriebssträngen, modulare Fertigung und Gruppeneinkauf sollen die Kosten der nächsten EV-Generation bis 2030 um 30% gegenüber dem aktuellen Modell Ariya auf das Niveau von Verbrennermodellen senken. Jedoch zeigt die neue Akkutechnik so viele Tücken, dass Toyota die Massenproduktion immer wieder verschieben musste.
General Motors steigt aus
Auch Honda-Chef Toshihiro Mibe muss umdenken. Zu seinem Amtsantritt 2021 verkündete er den kompletten Verzicht auf Verbrennermotoren bis 2040, obwohl Honda mit dem winzigen „Honda e“ nur ein einziges EV-Modell im Portfolio hatte. Nur ein Jahr später folgte schon die Kooperation mit Sony für ein gemeinsames Elektroauto. Aber bisher zeigt sich Sony an einer Serienproduktion nicht richtig interessiert. Und der Plan von Honda und General Motors, ein EV-Einstiegsmodell gemeinsam zu entwickeln, wurde vergangenes Jahr von der US-Seite aufgegeben.
Auf diese Entwicklungen reagierte Mibe in der vergangenen Woche mit einem neuen strategischen Ansatz: Honda will die vertikale Wertschöpfungskette beim Batterieauto von den Akkus über die Software bis zur Produktion komplett selbst abdecken. Für Forschung und Entwicklung nimmt der Branchenzweite in Japan allein in diesem Jahr 1,2 Bill. Yen (7,1 Mrd. Euro) in die Hand, ein Plus von 23% zum Vorjahr. In Ontario (Kanada) werden Honda und ihre Zulieferer für 11 Mrd. Dollar eine EV- und Batteriefabrik bauen. Ab 2028 sollen dort bis zu 240.000 EVs jährlich vom Band laufen. Finanzieren will Mibe diese Strategie mit den hohen Gewinnen aus dem Verkauf von Hybridmodellen. Aber die Risiken lassen sich kaum übersehen.
Unterm Strich bleiben erhebliche Zweifel, ob Nissan und Honda die Elektrifizierung jeweils allein anpacken können. Der einzige große Hoffnungsträger beider Hersteller ist das künftige EV-Geschäft in Nordamerika. Die USA und Kanada sind bereits heute ihr jeweils größter Absatzmarkt – Honda und Nissan verkauften 2023 dort 40% bzw. 37% ihrer Fahrzeuge. Außer Tesla gibt es in den USA bisher keinen Großanbieter von EVs. Die Vervierfachung der Zölle auf EVs aus China, die es dort ohnehin bisher gar nicht zu kaufen gibt, verbessert die Ausgangsposition der japanischen Hersteller. Eine verstärkte Kooperation untereinander bleibt für den Erfolg aber kaum verzichtbar.