Dem Yen droht nach bewegten 150 Jahren neue Konkurrenz
Von Martin Fritz, Tokio
Soll der Yen eine Weich- oder Hartwährung sein? Bei seiner Geburt vor 150 Jahren wollte Japans Regierung eine harte Devise schaffen, um dem jungen Nationalstaat den Zugang zum Weltfinanzsystem zu sichern. Dafür hielt man bis zum Zweiten Weltkrieg am Goldstandard fest. Aber danach wechselte man zu einer gesteuerten Währung, die als Exportstütze weich gehalten wurde. An dieser Strategie hält Japan im Prinzip bis heute fest. Doch es gab mehrere Gegenreaktionen, die die eigene Wirtschaft stark beeinträchtigten.
Der Yen kam in Gestalt von Japans ersten geprägten Gold-, Silber- und Kupfermünzen mit Dezimalwerten auf die Welt. Die Vereinheitlichung des Geldes durch das „Neue Währungsgesetz“ vom 27. Juni 1871 gehörte zu den vielen Schritten für ein nationales Wirtschaftssystem. 1882 folgte die Gründung der Bank of Japan, die nationale Geldscheine druckte. Bei der Geburt setzte man 1 Yen mit 1,5 Gramm Gold gleich. Aber als Japan 1897 den Goldstandard akzeptierte und dem globalen Finanzsystem beitrat, halbierte es den Tauschwert von 1 Yen auf 0,75 Gramm Gold. Dafür erhielte man heute 4800 Yen.
Schon vor der Reform von 1871 etablierte sich das bis heute gültige Muster, dass die USA den Wechselkurs der japanischen Valuta beeinflussen wollten, zunächst im Kanagawa-Vertrag 1854 und dann im Harris-Vertrag 1858 für die Wirtschaftsöffnung. Seit den 1960er Jahren kritisieren die USA Japan für die hohen Handelsüberschüsse, die durch einen unterbewerteten Yen gestützt werden. Dieser Dauerstreit beeinflusste den Wechselkurs wiederholt stark. Nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems 1971 verdoppelte sich der Yen-Wert zum Dollar. Die Vereinbarung der damaligen G5 von 1985, den Dollar zu schwächen, sowie die Niedrigzinsen in Japan ließen viel Auslandskapital in die japanische Währung strömen. Parallel zum Yen stiegen Japans Aktienkurse in schwindelerregende Höhen.
Instabilität als Treiber
Erst 1995 verständigten sich die USA und Japan auf eine neue „Allianz“. Konzertierte Aktionen drückten den Wechselkurs um 70%. Seitdem ließ sich beobachten, dass eine stabile Regierung in Tokio mit einem guten Draht zur US-Administration wie unter den Premiers Junichiro Koizumi (2001 bis 2006) und Shinzo Abe (2013 bis 2020) einen schwächeren Yen begünstigt. „Aber bei instabilen bilateralen Beziehungen und schwachem Dollar wertet der Yen zum Dollar auf“, analysierte J.P. Morgan am Ende der Abe-Ära. Auf das lange Zeit beliebte Instrument der Intervention am Devisenmarkt verzichtet das Finanzministerium seit 2011, um den Vorwurf eines Währungskrieges seitens der USA zu vermeiden.
Die Funktion des Yen als „sicherem Kapitalhafen“ kann solche politischen Zusammenhänge leicht überlagern. Laut Vontobel Asset Management erfüllt er alle Kriterien für einen sicheren Hafen – politische Stabilität, tiefe und liquide Finanzmärkte, niedrige Zinsen und ein hohes Auslandsnettovermögen. Letzteres wuchs seit Mitte der 1990er Jahre von 18% auf 68% des BIP, nur die Schweiz (100%) und Norwegen (316%) weisen höhere Überschüsse auf. „Diese Assets dienen in Zeiten von Finanzierungsstress als Puffer“, heißt es bei Vontobel.
Doch die extrem lockere Geldpolitik der Bank of Japan (BoJ) kompliziert Yen-Prognosen. Ihr heimliches Ziel bleibt die Schwächung der Währung, weil dadurch japanische Waren im Ausland konkurrenzfähiger werden und die Unternehmen durch die Repatriierung von Einnahmen höhere Gewinne erzielen. Ab April 2013 blies die BoJ die Geldmenge gewaltig auf. Darauf wetteten ausländische Investoren in Scharen auf steigende Aktienkurse und einen schwächeren Yen. Tatsächlich wertete die Devise um mehr als die Hälfte auf 125 Yen pro Dollar ab. Doch mit der Einführung der Zinskurvenkontrolle 2016 und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten floss das Auslandskapital ab. Der Wechselkurs näherte sich zeitweise wieder der Marke von 100 Yen pro Dollar, bis mit der Wahl von Joe Biden die nächste Schwächephase einsetzte.
Zudem machen Japans ultralockere Geldpolitik und die leichte Dauerdeflation Arbitragegeschäfte – Carry Trades – attraktiv. Dabei verschulden sich ausländische Anleger billig in Yen und kaufen dann in einer anderen Währung Vermögenswerte mit höherer Rendite. Die Gefahr dieser Strategie liegt in der Hafenfunktion des Yen. Bei einer Abnahme des Risikoappetits parken Großanleger ihr Kapital in Yen, die Devise wertet auf. Dann rechnet sich der Carry Trade nicht mehr und wird schnell aufgelöst. Diese erzwungenen Käufe verteuern den Yen zusätzlich. Bei der Finanzkrise 2008/09 wertete der Yen durch diese Kapitalflüsse in wenigen Monaten um ein Drittel auf. Derzeit lohnen sich Carry Trades in Yen wegen der geschrumpften Zinsdifferenz zu den USA nicht mehr. Doch die Valuta bleibt als Anlageziel attraktiv, da sie einen höheren Realzins als Euro und Dollar einbringt.
Frische Konkurrenz droht aus China. Gemäß Goldman Sachs wird der Yuan den Yen bis 2030 als drittgrößte Reservewährung der Welt ablösen. Citigroup schätzt, dass die chinesische Währung bis dahin auch den dritten Platz für internationale Zahlungen einnehmen wird. Gleichzeitig droht Japans Wirtschaft durch die rasch alternde Bevölkerung und den hoch verschuldeten Staat eine Dauerstagnation. Stärker an Bedeutung dürfte der Yen jedoch erst verlieren, wenn China seine Kapitalverkehrskontrollen aufhebt. Dann würde sich ein Kreis schließen: Der Name Yen geht auf das chinesische Wort „yuan“ für „runder Gegenstand“ zurück.