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Der Einzelhandel schlittert in die Krise

Unter den Konsumenten in Deutschland sind Zukunftsängste weit verbreitet. Sogar Resignation macht sich angesichts der vielen ungelösten wirtschaftlichen und sozialen Probleme breit. Das wirkt sich natürlich auf das Ausgabeverhalten der Verbraucher aus. Für den Einzelhandel, der schon mehrere magere Jahre hinter sich hat, wird es immer schwieriger.

Der Einzelhandel schlittert in die Krise

Der Einzelhandel schlittert in die Krise

Es gibt einige Parallelen zwischen 1982 und 2024. Doch wo vor 42 Jahren die schwarz-gelbe Koalition für Aufbruchstimmung und Vertrauen in einen Aufschwung sorgte, wird heute trotz neuer Regierungskonstellation die Konsumstimmung trübe bleiben.

Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt

Unter den Konsumenten in Deutschland breiten sich Zukunftsängste aus. Ungeachtet kurzlebiger Stimmungsaufhellungen infolge gestiegener Löhne und abgeebbter Inflationswelle macht sich sogar Resignation breit angesichts der vielen ungelösten wirtschaftlichen und sozialen Probleme. Besonders Meldungen über Stellenabbau verunsichern. Das wirkt sich natürlich auf das Ausgabeverhalten der Verbraucher aus, die verstärkt sparen statt zu konsumieren. Für den Non-Food-Einzelhandel, der schon mehrere magere Jahre hinter sich hat, wird es dadurch immer schwieriger. Dass die Unternehmen unter steigenden Kosten für Personal, wichtige Rohstoffe und Energie sowie ausufernder Bürokratie (Lieferketten, Nachhaltigkeit) ächzen, macht ihre Lage nicht einfacher.

Selbst der HDE ist zurückhaltend

Wie übel die Lage im Einzelhandel sein muss, zeigt der in seinen Prognosen sonst notorisch optimistische Handelsverband Deutschland (HDE), der für das laufende Weihnachtsgeschäft ein nominales Wachstum von lediglich 1,3% auf 121,4 Mrd. Euro in Aussicht stellt. Bereinigt um die Inflationsrate können die Händler froh sein, wenn sich in den Monaten November und Dezember – so definiert der HDE das Weihnachtsgeschäft – kein Umsatzschwund im Vergleich zur Vorjahreszeit einstellt. Auch für das zu Ende gehende Gesamtjahr sind die Aussichten trostlos: Gleichzeitig mit dem Ausblick auf das Weihnachtsgeschäft senkte der Verband vor Monatsfrist wegen der „schwierigen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ seine Wachstumsschätzung drastisch von 3,5% auf 1,3%.

Makroökonomische Daten erklären einen Teil des schwachen Konsums, weil sie zeigen, dass es auch außerhalb der Einzelhandelsbranche nicht gut läuft, was Folgen für die Kaufbereitschaft hat. So dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland 2024 preisbereinigt um 0,2% zurückgehen, nachdem es bereits im Vorjahr um 0,3% gesunken war. Die Prognose der „Wirtschaftsweisen“ für 2025 sieht ein Wachstum von 0,4% vor. Das ist keine Entwicklung, die Aufbruchstimmung oder Optimismus erzeugt. Andererseits fließt die schwache Performance im Einzelhandel auch in das BIP ein. Es ist – in abgemilderter Form – wie mit der Henne und dem Ei.

„Konsum ist zu einem hohen Anteil Psychologie“

Doch harte Fakten sind nur eine Seite der Medaille. HDE-Präsident Alexander von Preen traf es auf den Punkt, als er jüngst sagte, es sei eine Binsenweisheit, dass der Konsum zu einem hohen Anteil Psychologie ist. „Und hier sieht es aktuell nicht richtig gut aus. Krieg in der Ukraine, Kämpfe im Nahen Osten und große wirtschaftliche Verunsicherung. Das führt dazu, dass die Menschen ihr Geld eher zusammenhalten.“

Wie viele und wie große Zinssenkungsschritte die Europäische Zentralbank noch unternimmt, ist für die Verbraucher in der gegenwärtigen Gemengelage einerlei. Ebenso, ob der Staat ein paar Euro mehr oder weniger für die Anschaffung von Elektroautos oder anderer gewünschter Verhaltensweisen spendiert – zumindest in der Mittelschicht und erst recht in einkommensschwachen Haushalten wird längst über größere Anschaffungen bzw. Ausgaben (etwa Möbelgarnitur, Renovierung, Fernreise) gründlich nachgedacht. Das Resultat der Überlegungen ist immer häufiger, dass der Kauf aufgeschoben wird. Selbst kleinere Freuden, wie aktuelle Mode oder ein neues Smartphone, gönnen sich die Konsumenten seltener im Vergleich zu Zeiten mit verbreitet zuversichtlicherer Stimmung und besser kalkulierbarer Zukunft.

Was heutige Politiker von Clinton und Kohl lernen können

Das Wahlkampfmantra des früheren US-Präsidenten Bill Clinton von 1992 – It’s the economy, stupid! – mit dem sich der Demokrat gegen den Republikaner und Amtsvorgänger George Bush senior durchsetzte, müsste aktualisiert und präzisiert für den angelaufenen Bundestagswahlkampf lauten: „It’s the sentiment, stupid!“ Denn zu den vielen ungeklärten wirtschaftlichen Fragen – etwa wie Klimaschutzmaßnahmen (Energie- und Verkehrswende, Heiztechnik) finanziert werden sollen – kommen auch große ungelöste soziale Probleme, zum Beispiel wie der Zustrom an Flüchtlingen gebremst und die bereits im Land Angekommenen besser integriert werden können oder wie die Welle an Babyboomern, die in den nächsten Jahren in Ruhestand gehen, einerseits auf dem Arbeitsmarkt ersetzt werden kann und andererseits mittel- bis langfristig pflegetechnisch und medizinisch versorgt werden soll.

Geht man noch ein Jahrzehnt weiter zurück in der Geschichte, stößt man auf interessante Parallelen zur heutigen Situation: Im Herbst 1982 entzog die Mehrheit des Bundestages dem damaligen Regierungschef Helmut Schmidt (SPD) auf Antrag der CDU/CSU und der FDP, die zuvor nach 13 Jahren aus der sozialliberalen Koalition ausgestiegen war, das Vertrauen, und Helmut Kohl wurde neuer Bundeskanzler. Damals wie heute hatte sich das Ende der Koalition schon lange Zeit vorher angekündigt. Auch damals war die wirtschaftliche und politische Lage in Deutschland schwierig. Während heute der Konflikt mit Russland durch den Krieg in der Ukraine eskaliert, wurde Anfang der 1980er Jahre der Kalte Krieg durch den umstrittenen Nato-Doppelbeschluss angeheizt, der u.a. die Aufstellung von Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern in Westeuropa als Ausgleich für die Stationierung neuer sowjetischer Mittelstreckenraketen im Osten vorsah.

Glaubhaft Zuversicht zeigen

Nun mag man von Kohl, dem Verhalten der FDP-Führung und der damals folgenden schwarz-gelben Koalition halten, was man will, aber eines verstand die neu gebildete Regierung: Aufbruchstimmung zu erzeugen. In verhältnismäßig kurzer Zeit ging es mit der Wirtschaft in Deutschland wieder deutlich bergauf. In erster Linie nicht, weil die Bundesbank die Zinsen gesenkt oder weil der Staat starke Investitionsanreize durch Subventionen und Steuererleichterungen gesetzt hätte, sondern weil Unternehmen und Verbrauchern glaubhaft das Gefühl vermittelt wurde, dass es wieder aufwärtsgeht. Der folgende Aufschwung war also vor allem psychologisch bedingt. An diesem entscheidenden Punkt enden die Parallelen zwischen 1982/83 und 2024/25.

Es sind vor allem zwei Unterschiede, die eine wirtschaftliche Erholung in Deutschland wie in den Anfangsjahren unter Kohl unwahrscheinlich erscheinen lassen. Zum einen hatte die CDU/CSU-FDP-Koalition in der Legislaturperiode 1983 bis 1987 eine zwar knappe, aber stabile Mehrheit von 290 von 520 Sitzen im Bundestag. Welche Konstellation sich Anfang nächsten Jahres in Berlin auch ergeben wird – sie dürfte ebenfalls knapp, aber von Anfang an brüchig sein, da die Vorstellungen der verschiedenen Parteien in variierenden Punkten weit auseinandergehen. Allein diese absehbaren Disharmonien dürften jede Aufbruchstimmung, jeden Glauben an einen Aufschwung verhindern.

Reagan war berechenbar, Trump nicht

Zum anderen war damals Ronald Reagan US-Präsident. Der Republikaner war und ist bis heute umstritten – u.a. wegen seiner extrem antikommunistischen Haltung und seiner rein angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, die dazu führte, dass sich die amerikanische Staatsverschuldung während seiner Amtszeit verdreifachte. Doch er war berechenbar, und er behandelte verbündete Länder wie Partner, nicht wie Vasallenstaaten. Im Januar 2025 wird Donald Trump wieder ins Weiße Haus einziehen. Und niemand kann auch nur halbwegs belastbar prognostizieren, was unter diesem US-Präsidenten geschehen wird.

Die große Verunsicherung, von der HDE-Präsident von Preen sprach, wird also fortbestehen. Und damit auch die schwache Konsumlaune. Denn es gibt kaum etwas, was der einzelne Händler nach einer Kosten-Nutzen-Analyse tun könnte, um gegen den Trend zu wachsen, da sich viele Maßnahmen, die zum Beispiel Unternehmensberater empfehlen, am Ende nicht rechnen.

Online-Geschäft stagniert

Ein Wachstumstreiber früherer Jahre fällt inzwischen weg. Das Online-Geschäft, das lange Zeit kräftig zulegte und in der Pandemie boomte, wird nach zwei Jahren mit realen Umsatzrückgängen in dieser Berichtsperiode kaum höher ausfallen als 2021. Hier ist die Phase starken Wachstums definitiv vorbei.

Angesichts der trüben Lage und der unsicheren Aussichten haben viele Händler im Non-Food-Bereich eine Restrukturierung in Angriff genommen. Dazu gehört oft ein Arbeitsplatzabbau, um Kosten zu senken. Wie oben geschildert, führen Jobverluste aber nicht nur bei den Betroffenen zu Konsumzurückhaltung, sondern auch bei denjenigen, die aufgrund der betreffenden Meldung dann um ihre eigene Stelle bangen. Ein Teufelskreis.

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