Der schwierige Spagat der EU-Finanzkommissarin
Der schwierige Spagat
der EU-Finanzkommissarin
Mehr voranbringen, weniger vorschreiben – die Erwartungen an Maria Albuquerque sind äußerst ambitioniert
Von Detlef Fechtner, Brüssel
Am Mittwochvormittag wird Maria Albuquerque im EU-Parlament „gegrillt“. Dann werden die EU-Abgeordneten die frühere Finanzministerin Portugals ins Kreuzverhör nehmen. Die Erwartungen an sie sind ausgesprochen sportlich: Sie soll die Mobilisierung von privatem Kapital erleichtern, die grüne Transformation der Wirtschaft durch entsprechende Finanzierungen flankieren helfen und den Binnenmarkt für Banken vorantreiben. Aber zugleich soll Albuquerque die administrativen und regulatorischen Lasten für Finanzinstitute und Unternehmen reduzieren. Die Frage stellt sich, wie das gleichzeitig gelingen kann.
Die studierte Ökonomin gilt als entschlossen und entscheidungsstark. Immerhin musste sie ihr Heimatland Portugal als Finanzstaatssekretärin von 2011 bis 2013 und dann sogar als Finanzministerin von 2013 bis 2015 durch die schwerste Wirtschaftskrise führen und unter dem Troika-Hilfsprogramm einen beinharten Sparkurs umsetzen. Insofern überrascht es nicht, dass sich Albuquerque in ihren schriftlichen Vorab-Antworten vor der Anhörung selbstbewusst präsentiert und sich den Spagat zutraut.
Sportliche Ansage
Sie werde, sofern das EU-Parlament sie als EU-Kommissarin bestätige, umgehend einen Plan vorstellen, wie spürbare Fortschritte auf dem Weg zu einer „Spar- und Investmentunion“ – dem neuen Label für das, was früher in Brüssel „Kapitalmarktunion“ genannt wurde – gelingen kann. „Ich denke, dass dies mit weniger Regulierung getan werden kann, als wir es in den vergangenen Jahren gesehen haben“, schreibt die Kandidatin. Und an anderer Stelle in Zusammenhang mit Sustainable Finance: „Ich werde daran arbeiten, die allgemeine Anwendbarkeit des Rechtsrahmens zu verbessern, den Verwaltungsaufwand für Firmen zu verringern, den Rahmen straffen, um ihn für ein breiteres Spektrum von Nutzern, einschließlich Klein- und Mittelunternehmen besser nutzbar zu machen – und das, ohne die Kernziele nachhaltiger Finanzierungen zu untergraben und ohne dass dies zu Greenwashing führt.“ Eine Ansage, die selbst Parteifreunde der Christdemokratin für äußerst ehrgeizig halten. „Ich bin gespannt, wie sie das anstellen will“, sagt ein EU-Abgeordneter.
Erfahrungen in Finanzbranche
Auch wenn Albuquerque sich in ihren schriftlichen Antworten an mehreren spannenden Stellen noch bedeckt hält und darauf verweist, sie wolle zunächst Studienergebnisse abwarten und sich mit allen Beteiligten beraten, stehen die Chancen, dass sie das EU-Parlament durchwinken wird, sehr gut. Zwar werden ihr einige Abgeordnete vorwerfen, dass sie durch Tätigkeiten beim Vermögensverwalter Arrow Global und bei der Investmentbank Morgan Stanley eine zu große Nähe zu den Akteuren am Kapitalmarkt hat. Andere werden diese beruflichen Erfahrungen hingegen als Vorteil interpretieren, da dies ihre fachliche Qualität fachlich unterstreiche.
Bemerkenswerterweise haben im Vorfeld der Anhörung von Albuquerque nicht nur EU-Abgeordnete Forderungen und Wünsche an die designierte EU-Kommissarin formuliert, sondern auch nationale Regierungen. In Brüssel läuft derzeit ein Schreiben der Finanzministerien aus Berlin, Paris und Rom um, das an den für Finanzmarktregulierung zuständigen Generaldirektor John Berrigan adressiert ist – dessen Inhalt sich aber im Grunde an die Nachfolgerin der nun scheidenden Finanzkommissarin Mairead McGuinness richtet.
Ruf nach Regulierungspause
So plädieren die Finanzministerien in dem Brief, der der Börsen-Zeitung vorliegt, die EU solle angesichts der vielen zuletzt beschlossenen Vorgaben, die sich erst noch in der Umsetzung befinden, „kurz- und mittelfristig auf neue, umfassendere Gesetzgebungsinitiativen in diesem Feld verzichten“. Diese relativ unverblümte Aufforderung zu einer Regulierungspause – also zumindest in Bezug auf größere, umfassendere Gesetzespakete – ist durchaus bemerkenswert, zumal traditionell eine neu formierte EU-Kommission gerade zu Beginn eigentlich den Ehrgeiz hat, eigene legislative Akzente zu setzen.
In die gleiche Richtung geht der Wunsch, die EU-Gesetzgeber sollten darauf achten, dass delegierte Rechtsakte, Durchführungsbestimmungen und regulatorische technische Standards der EU-Bankenbehörde EBA „verhältnismäßig und risikosensitiv“ sind. Hier klingt sehr deutlich die Unzufriedenheit mit, dass die EBA nach Meinung der Regierungen – und übrigens auch vieler Marktakteure – oft deutlich über das hinausgeht, was auf Ebene der Gesetzgebung vorgesehen wurde.
Weniger administrative Lasten
Schließlich pochen die drei nationalen Regierungen in ihrem Brief auf eine spürbare Vereinfachung der regulatorischen Anforderungen an die Finanzmarktteilnehmer. Sie fordern die „Vereinfachung“ des bankaufsichtlichen und des makroprudenziellen Rahmenwerks – „mit dem ultimativen Ziel der Reduzierung der administrativen Lasten der Finanzindustrie und um mehr Flexibilität bei der Regulierung zu erreichen“.
In die gleiche Kerbe schlägt übrigens EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die Albuquerque und allen anderen EU-Kommissaren in sogenannten „Mission Letters“ aufträgt, dazu beizutragen, „die Berichtspflichten um mindestens 25% – und für kleine und mittlere Unternehmen um mindestens 35% – zu reduzieren“. Zudem wird die Portugiesin aufgefordert, mindestens zwei sogenannte Umsetzungsdialoge pro Jahr mit Interessenvertretern zu organisieren, um die Umsetzung mit den praktischen Erfahrungen vor Ort abzugleichen. Und schließlich soll sie den „EU Acquis“, also die Summe der bestehenden Verordnungen und Richtlinien, einem „Stresstest“ unterziehen und Vorschläge zur Beseitigung etwaiger Überschneidungen und Widersprüche in den gesetzlichen Vorgaben unterbreiten.
200 delegierte Rechtsakte
Wie ambitioniert all diese Anforderungen sind, zeigt allein der Blick auf den aktuellen Stand der Dinge. Denn zunächst einmal müssen sich Banken, Börsen, Fonds und andere Finanzdienstleister noch auf jede Menge Regelwerk aus Europa einstellen. Allein aus den schon beschlossenen Verordnungen der EU aus den vergangenen Jahren ergibt sich noch regulatorische Nacharbeit. Derzeit müssen die drei Aufsichtsbehörden der sogenannten zweiten Ebene, also EBA (Banken), ESMA (Marktinfrastrukturen) und EIOPA (Versicherungen und Pensionskassen) dem Vernehmen nach noch 200 (in Worten: zweihundert) delegierte Rechtsakte beschließen, damit bereits beschlossene Verordnungen überhaupt umgesetzt werden können.