Im Blickfeld: Handelsbeziehungen

Firmen kämpfen mit De-Risking in China

Der Abbau kritischer Abhängigkeiten von China erweist sich als sehr schwierig. Westliche Kunden der Unternehmen pochen auf die günstigen Bezugsquellen aus Asien. Außerdem wollen die Firmenlenker den chinesischen Markt weiterhin mit ihren Produkten bedienen.

Firmen kämpfen mit De-Risking in China

Deutsche Firmen kämpfen mit dem De-Risking in China

Ein Jahr nach der Verabschiedung der Berliner Strategie hakt die Umsetzung

Von Michael Flämig, München

Am 13. Juli 2023 hat die Bundesregierung ihre China-Strategie veröffentlicht. Die Politik bezeichnete in dem 64-seitigen Papier die Verringerung von wirtschaftlichen Abhängigkeiten in kritischen Bereichen als dringend geboten. Ein Jahr später gibt es mancherorts Erfolge bei der Minderung von Risiken. Beispielsweise wird chinesische Technik bis zum Jahr 2029 aus kritischen Stellen im deutschen Mobilfunknetz verbannt. Hier sind Sicherheitsüberlegungen entscheidend. In der Breite erweist sich die Umsetzung dieses Derisking aber als sehr schwierig.

Siemens Energy hat dies in der Sparte Windenergie erlebt. Die Abhängigkeit ist besonders eklatant. 60% des Materials für die Energiewende kämen aktuell aus China, warnte der Vorstandsvorsitzende Christian Bruch bereits wenige Monate nach dem russischen Großangriff auf die Ukraine und dem Pekinger Schulterschluss mit Moskau. Dortige Unternehmen liefern sogar fast 100% der Seltenen Erden oder Permanentmagneten, die in Windturbinen verbaut werden.

Die Schlussfolgerung des Münchner Konzerns: Die Kunden sollten wählen können, ob sie weiterhin in China einkaufen oder einen Teil des Materials aus anderen Ländern wie Australien beziehen wollten. Siemens Energy sorgte für entsprechende Lieferquellen. Dies werde aber höhere Kosten bedeuten, erklärte Bruch im Mai vergangenen Jahres.

Es zählt allein der Preis

Ein Jahr später ist das Ergebnis ernüchternd. Der Aufbau diversifizierter Lieferketten sei ein wichtiges Anliegen, daher gehe Siemens Energy alternative Partnerschaften mit Rohstoffproduzenten zum Beispiel in Australien ein, betont ein Sprecher zwar weiterhin. Er fügt aber hinzu: „Tatsache ist aber auch, dass in der Windindustrie der Fokus auf Kosten sehr hoch ist und solche Alternativen noch nicht wettbewerbsfähig sind.“ Für die Windparkbetreiber sei es derzeit noch schwierig, die damit verbundenen Kosten an die Stromkunden weiterzugeben.

Kurz: Am Schluss zählt allein der Preis, die Kunden verzichten zuweilen lieber auf ein Derisking. Diese Gefahr sieht auch die Studie „Resilienz der deutschen und bayerischen Wirtschaft“, die die Prognos AG Anfang Juli veröffentlicht hat.

Forderung nach Rohstoffpartnerschaften

Die Pandemie habe zwar zu einem Überdenken der Wertschöpfungsketten und einer Reduzierung der Importabhängigkeit durch eine stärkere Diversifizierung geführt, allerdings in weniger starkem Ausmaß als erwartet, heißt es dort. „In Zeiten einer konjunkturellen Talsohle steht bei Unternehmen die Effizienz im Vordergrund“, kommentiert Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, die die Studie in Auftrag gegeben hat.

Mittelfristig führe an einer weiteren Diversifizierung kein Weg vorbei, ist Brossardt dennoch überzeugt. Der richtige Weg allerdings muss noch gefunden werden. Die Politik solle die Unternehmen unterstützen, etwa mithilfe von Freihandelsabkommen und Rohstoffpartnerschaften, meint der Hauptgeschäftsführer.

Die Importabhängigkeiten von China seien im Jahr 2023 trotz gewisser Veränderungen auf ähnlichem Niveau geblieben wie im Vorjahr, merkt auch das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in der Studie „Importseitiges De-Risking von China im Jahr 2023“ an. Es sieht aber ein ganz grundsätzliches Problem. Es fehlten tiefere Außenhandelsanalysen, um ein Derisking überhaupt zu vermessen. Es sei Aufgabe der Bundesregierung, die China-Strategie mit aufwendigen Forschungen hierzu zu unterlegen, lautet die Forderung im IW-Report „Beginnt das De-Risking?“.

China bleibt wichtiger Absatzmarkt

Für die Lenker von Firmen, die China großflächig mit ihren Produkten bedienen wollen, stellt sich aber auch eine andere Frage: Wie lässt sich in dem Land möglichst viel Geld verdienen, ohne zu abhängig von dem Markt zu werden? Gerade für deutsche Firmen ist das Absatzgebiet extrem relevant. Das Research der Deutschen Bank hat in seiner Studie „Made in Germany. The sore athlete of Europe“ ausgerechnet, dass die Konzerne im Dax 40 rund 15% ihres Umsatzes in China erwirtschaften, nur etwas weniger als im Heimatmarkt Deutschland (18%).

Investoren legen den Finger immer wieder in diese Wunde. So wie bei Siemens. Er sehe eine hohe China-Abhängigkeit der Sparte Digital Industries, mahnte Deka-Investment-Vertreter Ingo Speich in der diesjährigen Hauptversammlung. Sein Vorschlag: eine Akquisition in den USA, um ausgeglichener aufgestellt zu sein.

Spielraum bei neuen Fabriken

Effizienz und Kosten spielen eine Rolle auch bei der Frage, wo Produktionskapazitäten aufgebaut werden. Unternehmen haben an dieser Stelle jedoch mehr Entscheidungsfreiheit. Beispiel Einhell.

Das Unternehmen, das Bau- und Gartengeräte für Heimwerker vertreibt, lässt bisher einen Großteil seiner Produkte in China fertigen. Vorstandsvorsitzender Andreas Kroiss will jedoch umsteuern. Die dortige Zero-Covid-Politik habe gezeigt, dass es zu riskant sei, sich ausschließlich auf dieses Land zu stützen, erklärte er der Börsen-Zeitung.

Neben der Fertigung im chinesischen Kunshan wurde daher im laufenden Jahr eine eigene Batteriefertigung in Osteuropa gestartet. Für Kroiss ist es damit nicht getan. Die Zielsetzung sei, Teile der Produktion nach Vietnam bzw. zurück nach Europa zu verlagern, legte er bereits im vergangenen Jahr fest.

Produktion für lokalen Markt

Ein Teil der deutschen Wirtschaft verfolgt ähnliche Ansätze wie Einhell, vermeidet aber, damit Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es gilt schließlich, die Chinesen nicht zu verprellen. Autoindustrie und Sportartikelfirmen können ein Lied davon singen.

Doch es bleibt das Problem: Verbleibende Fabriken können radikal an Wert verlieren, wenn es zu einer Konfrontation von Staaten kommt. Große Unternehmen reduzieren daher ihr Exposure, indem chinesische Standorte nicht mehr als Zulieferer für andere eigene Produktionsstandorte oder als Produktlieferant für die eigenen Kunden außerhalb des Landes dienen.

Siemens-Vorstandschef Roland Busch beispielsweise weist regelmäßig darauf hin, dass Siemens auch in China 85% für den dortigen Markt produziere.

Firmen, die noch nicht so stark in China präsent sind, müssen die geopolitischen Spannungen ebenfalls berücksichtigen. Wer international skalieren will, der kommt an China nicht vorbei. Krones beispielsweise erwirtschaftet bisher nur 7% des Umsatzes in dem Land. Der Hersteller von Getränkeabfüll- und Verpackungsanlagen wolle seine Kapazitäten dort verdoppeln, kündigt Christoph Klenk Anfang Juli auf dem Kapitalmarkttag an.

Das Problem: Gerade eine Aufbauphase erfordert hohe Investitionen. Vor allem mittelgroße Unternehmen können sich einen Totalverlust nicht leisten. Krones-Finanzvorständin Uta Anders stellt denn auch fest: „Für uns ist es wichtig, dort unabhängig und flexibel zu sein.“

Die Lösung: Es wird eine neue Fertigungsstätte gebaut. Jedoch: „Nicht wir tun dies“, erklärt Anders. Vielmehr errichtet eine regionale Entwicklungsgesellschaft die Gebäude, Mitte 2026 soll das Areal bereitstehen, und Krones wird erst einmal als Mieter einziehen. Nach fünf Jahren kann der Maschinenbauer ein Vorkaufsrecht ziehen, die Miete wird bei einem Erwerb des Grundstücks angerechnet. Krones sieht sich so vorbereitet für den Fall geopolitischer Spannungen.

„Zuerst in China schlagen“

Das Entkoppeln von China oder der Abbau kritischer Importabhängigkeiten löst jedoch eine andere Konfrontation nicht: Firmen aus Fernost treten zunehmend als Konkurrenten außerhalb ihres Landes auf, die Autoindustrie bekommt dies mit BYD & Co. bereits zu spüren. Aber beispielsweise auch die Bahnindustrie fürchtet seit Jahren, dass der weltgrößte Zughersteller CRRC aus China in Europa Fuß fasst. Noch sind die Erfolge bescheiden, etwa in Nordmazedonien. Im Mai 2020 wurde die kleine Lokomotiven-Sparte von Vossloh übernommen.

Krones sieht derlei ebenfalls auf sich zukommen. Er erwarte eine härtere Wettbewerbssituation mit chinesischen Unternehmen, erklärt Klenk. Seine Schlussfolgerung: „Wir müssen die chinesische Konkurrenz zuerst in China schlagen.“

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