London

Die Kunst, die Regeln zu brechen

Wer es bis zum 6. März nach London schafft, sollte sich eine Ausstellung nicht entgehen lassen: Somerset House zeigt „The Art of Breaking the Rules“, eine Geschichte des Comic-Magazins „Beano“.

Die Kunst, die Regeln zu brechen

Dennis und Gnasher kennt man in Deutschland nur aus der Zeichentrickserie, die sich den Abenteuern eines Jungen widmet, der seit gut 70 Jahren nicht erwachsen werden will. Sie ist ein müder Abklatsch der Geschichten, die britische Kinder wöchentlich in „Beano“ lesen. Das Comic-Magazin erscheint seit 1938 beim schottischen Verlag DC Thomson und hat es nie über den Ärmelkanal geschafft. Schade eigentlich, denn den anarchischen Humor, der die Geschichten von Lord Snooty, Minnie the Minx und Rodger the Dodger auszeichnet, hätte man auch auf dem Kontinent verstanden. Da geht es nicht um Superhelden, die für das Gute gegen das Böse kämpfen. Statt eine wie auch immer geartete Moral zu vermitteln, regen die Comics dazu an, die von oben verordneten Regeln in Frage zu stellen. Schauplatz ist nicht ein exotischer Ort oder gar das Weltall, sondern eine durchschnittliche Stadt namens Beanotown.

Wer bis zum 6. März nach London kommt, hat noch die Chance, dazu im Somerset House die Ausstellung „The Art of Breaking the Rules“ zu sehen. Sie zeigt, wie sich der gesellschaftliche Wandel in den Comics widerspiegelt. Während des Zweiten Weltkriegs er­schien „Beano“ trotz Papiermangels weiter. Die Autoren machten sich über Hitler und Mussolini gleichermaßen lustig. Das Magazin galt als kriegswichtig, weil es dazu beitrug, den Kampfgeist der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Gerne hätte man dazu mehr erfahren. In den 1950er Jahren erreichte die Auflage zwei Millionen Exemplare. Heute liegt sie weit niedriger.

Die Erklärtafeln werden von den oft sehr jungen Besucherinnen und Besuchern aufmerksam studiert. Viele tragen schwarz-rot gestreifte Pullover wie Minnie und Dennis, die erst nach dem Krieg dazu­kamen. „Schwarz-rot sind auch die Farben der Fahne der Antifa, einer antirassistischen Bewegung in den Vereinigten Staaten“, heißt es dazu auf einer der Tafeln, die Minnie zur Vorläuferin der „Riot-Grrrl-Bewegung“ erklärt. Vielleicht wusste man nicht, dass die Antifaschistische Aktion (Antifa) 1932 in Deutschland von der KPD gegründet wurde. Ihr Logo wurde vom Bauhaus-Grafiker Max Gebhard entworfen und zeigte ursprünglich zwei rote Fahnen. Das heute gängige Signet mit einer roten und einer schwarzen Fahne stammt aus den späten 1970er Jahren und wurde von der Göttinger Gruppe „Kunst und Kampf“ gestaltet. Das ist nicht schwer herauszufinden, aber Andy Holden, dem Kurator der Ausstellung, ging es wohl in erster Linie darum, den Bezug zu allen möglichen Bewegungen herzustellen, die ihm am Herzen liegen.

Das zeigt sich auch an der Auswahl der Begleitkunst. Der unvermeidliche Banksy fehlt natürlich nicht. Man sieht das Selbstporträt von Sarah Lucas mit Spiegeleiern auf ihrem T-Shirt. Die meisten Lieferanten eint, dass sie in ihrer Kindheit Fans des Magazins waren. Mehr Gemeinsamkeiten sind nicht erkennbar. Die Auswahl erscheint – wie schon bei der vorangegangenen Ausstellung „Good Grief, Charlie Brown!“ – beliebig und in vielen Fällen verzichtbar. Manchmal er­fährt der Besucher gar mit Grausen, dass ein solches Werk eigens für die Ausstellung geordert wurde. Nice work, if you can get it. Der „Guardian“-Feuilletonist Adrian Searle wurde im Ausstellungscomic verewigt – bei seiner Ankunft auf dem Rücken eines Schwans. Man kennt sich halt in Londontown.

Doch „Beano“ ist ein Phänomen, das die Grenzen der politischen Lager überwindet. Als der Verlag dem prominenten Brexiteer Jacob Rees-Mogg eine Unterlassungsaufforderung schickte, sorgte das nicht nur bei linken Politikern für große Heiterkeit. Der ultrakonservative Staatssekretär möge sich doch bitte nicht länger als Walter the Softy verkleiden, heißt es in dem Schreiben aus dem Jahr 2018, das in der Ausstellung ebenfalls gezeigt wird. Dadurch würden die Rechte des geistigen Eigentums des Verlags an der Figur verletzt. Zu den bemängelten Punkten gehörten seine Frisur (Seitenscheitel), seine Vorliebe für runde Brillengläser und altmodische Kleidung sowie das ständige Bemühen, andere an das erfolgreiche Leben seines Vaters zu erinnern. Rees-Mogg sagte damals übrigens, er fühle sich geschmeichelt, doch reichten seine körperlichen Fähigkeiten nicht an die von Walter heran. Natürlich dürfte auch er einmal ein begeisterter Leser von „Beano“ gewesen sein.