Die Legende der AfD
Notiert in Brüssel
Die Legende der AfD
Von Detlef Fechtner
Kaum hatte Frankfurt am Donnerstagabend den Zuschlag für den Sitz der AMLA, der europäischen Anti-Geldwäsche-Behörde, erhalten, da meldete sich der EU-Abgeordnete Gunnar Beck zu Wort. Beck gehört der Fraktion Identität und Demokratie an, also dem Zusammenschluss von belgischem Vlaams Belang, französischem Rassemblement National, österreichischer FPÖ und anderen nationalen und rechtsextremen Parteien im EU-Parlament. Beck ist Vertreter der AfD.
Er versendete flächendeckend eine E-Mail, in der er im vollen Brustton der Überzeugung behauptete, ihn überrasche noch immer die "Haltung meiner deutschen Kollegen", die "regelmäßig gegen deutsche Interessen" votierten. Harter Tobak! Lindner, so Becks feste Überzeugung, habe es nicht vermocht, eine einzige andere Stimme unter allen anderen deutschen Abgeordneten im EU-Parlament für Frankfurt zu mobilisieren. Wenn er sich da mal nicht irrt.
Na klar, die Abstimmung war geheim. Insgesamt wurden 54 Stimmen abgegeben – 27 von Abgeordneten, 27 von Vertretern der 27 EU-Staaten. Die hatten sich zwei Stunden zuvor auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigt, nämlich Frankfurt. Verabredet war, dass alle nationalen Regierungen für Frankfurt stimmen sollten. Am Ende erhielten Madrid 16 Stimmen, Paris 6 Stimmen, Rom 4 Stimmen – und Frankfurt 28, also eine (denkbar knappe) Mehrheit. Dass also Beck der einzige EU-Abgeordnete war, der für Frankfurt optierte, kann sein. Muss aber nicht sein. Denn erstens gehen Diplomaten, die an den Vorgesprächen aktiv beteiligt gewesen sind, davon aus, dass sich längst nicht alle 27 nationalen Vertreter an die Vorabsprache gehalten haben. Zweitens verlautet auch aus dem EU-Parlament, dass mehr als eine Stimme von Abgeordneten stammt – nicht zuletzt, weil mit dem Grünen Rasmus Andresen ein zweiter Deutscher beteiligt war.
Viel wichtiger noch als die – ohnehin nicht zu klärende – Frage, wer sich in der geheimen Abstimmung wie verhalten hat, ist es indes, den Blick darauf zu richten, was geschehen wäre, wenn Frankfurt im ersten Wahlgang ohne Becks Unterstützung "nur" 27 Stimmen erhalten hätte. Dass dann Madrid seine Stimmenzahl quasi aus der Tiefe des Raums von 16 auf 28 fast verdoppelt hätte, ist – vorsichtig gesagt – extrem unwahrscheinlich. Umso mehr, da Frankfurt auf der Shortlist der Favoriten des EU-Parlaments stand. Wesentlich realistischer ist die Annahme, dass in Runde zwei beispielsweise die konservative Parteienfamilie einen Teil ihrer Stimmen an Frankfurt gegeben hätte (so wie es vorher wohl ohnehin abgesprochen war).
Insofern strickt AfD-Mann Beck an einer Legende, wenn er sich zuschreibt, nur ihm sei zu verdanken, dass die AMLA nach Frankfurt kommt. Und er gibt damit einen Vorgeschmack auf das, was in der nächsten Legislaturperiode zu erwarten ist, wenn die Rechts-außen-Fraktion absehbar noch stärker im EU-Parlament vertreten sein wird – und dann wahrscheinlich regelmäßig behaupten wird, ohne sie gehe nichts.