Die neuen Superlative des Nahen Ostens
Luftfahrtmarkt Nahen Osten
Die neuen Superlative
des Nahen Ostens
Die Luftfahrtbranche der Region steht nach der Coronakrise besser da als je zuvor
wü Paris
Von Gesche Wüpper, Paris
Sie stehen ordentlich in Reih und Glied, eines neben dem anderen. Dutzende Langstreckenjets von Emirates warten am Flughafen von Dubai auf ihren Abflug zu einem anderen Kontinent. Winter, das bedeutet für die Golfmetropole Hochsaison. Denn sie hat sich innerhalb der vergangenen Jahre vom Umsteigeflughafen zu einem beliebten Winterreiseziel gemausert.
Weder Corona noch geopolitische Krisen wie der Ukraine-Krieg scheinen der Luftfahrtbranche im Nahen Osten etwas anhaben zu können. Fluggesellschaften und Flughafenbetreibern aus der Region geht es so gut wie nie zuvor. So hat Emirates in der ersten Hälfte ihres versetzten Geschäftsjahres 2023/ 24 das Nettoergebnis um 138% auf 2,7 Mrd. Dollar verbessert und damit einen neuen Rekordgewinn verbucht. Qatar Airways hat das Ergebnis im ersten Halbjahr ebenfalls mehr als verdoppelt, auf umgerechnet rund 960 Mill. Euro.
Flughafenbetreiber Dubai Airports wiederum geht davon aus, in diesem Jahr mit 86,8 Millionen Passagieren das Vorkrisenjahr 2019 übertreffen zu können. „Die Luftfahrtunternehmen aus dem Nahen Osten haben ihre internationalen Netzwerke und ihre Super-Drehkreuze für Verbindungen schnell wiederhergestellt“, erklärt der Branchenverband IATA (International Air Transport Association). Entsprechend erwartet er, dass die Fluggesellschaften aus der Region 2023 und 2024 starke finanzielle Ergebnisse einfliegen werden.
Strategie trägt Früchte
„Die Nachfrage ist da“, erklärte Emirates-Chef Tim Clark während der Dubai Airshow im Gespräch mit Journalisten. Nach dem Ausbruch von Covid habe jeder vorhergesagt, dass keiner mehr fliegen wolle. Doch das Gegenteil sei der Fall. „Wenn wir alle Flugzeuge schon hätten, die wir gerade gekauft haben, wären sie voll.“
Die Gründe, warum Airlines und Flughäfen der Golfregion derzeit so erfolgreich sind, sind vielfältig. Da ist zum einen die ideale geografische Lage. „Der Nahe Osten ist einmalig gelegen“, sagt der Vice President Commercial Marketing von Boing, Darren Hulst. „80% der weltweiten Bevölkerung können ihn innerhalb von acht Flugstunden erreichen.“
Neben der Lage, die die Region zum idealen Zwischenstopp für Langstreckenflüge macht, profitiert sie auch von der Strategie der Golfstaaten. Nach Ausbruch der Covid-Pandemie ist es den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gelungen, die Bevölkerung schnell durchzuimpfen, Dubai rasch wieder für Touristen zu öffnen und Influencer in die Golfmetropole zu locken. Deshalb machen Fluggäste, die dort bleiben, inzwischen 55% der Ankommenden des Flughafens aus, während es vor Covid nur 40% waren und Transitreisende mit 60% den Hauptteil ausmachten.
Im Gegensatz zu Fluggesellschaften aus Europa und den USA haben die Airlines aus der Golfregion zudem Flugverbindungen von und nach Russland nach dem Angriff auf die Ukraine nicht eingestellt. Die VAE und Saudi-Arabien hießen jetzt sogar Wladimir Putin zu einem Besuch willkommen, nachdem russische Firmen und Delegationen bereits auf der Dubai Airshow im November gut vertreten waren.
In den ersten neun Monaten 2023 war Russland mit 1,8 Millionen Passagieren eine der wichtigsten Destinationen von Dubai Airports, wenn auch deutlich hinter Indien (8,9 Millionen), Saudi-Arabien (4,8 Millionen), Großbritannien (4,4 Millionen), Pakistan (3,1 Millionen) und den USA (2,7 Millionen).
„Emirates hat die Vorkrisen-Flugaktivitäten nach Russland basierend auf der anhaltenden Passagier- und Frachtnachfrage beibehalten“, erklärt Thierry Aucoc, Senior Vice President der Fluggesellschaft für Commercial Operations Europe. „Unsere Flüge nach Russland werden im Einklang mit allen Rechtsrahmen durchgeführt.“ Sie seien für eine Reihe von Kunden, darunter Diplomaten und internationale Studenten, essenziell.
Wie sich nun der Krieg zwischen Israel und der Hamas auf die Luftfahrtbranche im Nahen Osten auswirken wird, muss sich noch zeigen. Zumindest in den ersten drei Wochen nach dem Angriff der Hamas auf Israel sind die Buchungszahlen laut dem Reiseanalyse-Unternehmen Forwardkeys im Vergleich zu 2019 um 20% eingebrochen. Dabei gingen die Buchungen in Amerika am stärksten zurück.
„Seit wir die Airline vor 38 Jahren gegründet haben, gab es immer wieder geopolitische Schwierigkeiten“, antwortet Emirates-Chef Clark auf die Frage nach den Auswirkungen des neuen Nahost-Konflikts. „Ich will nicht selbstgefällig klingen, aber wir haben gelernt, uns darum herum zu organisieren.“ Emirates hat seit Ausbruch des Konflikts Flüge nach Tel Aviv eingestellt. Bis dahin, so Clark, sei Israel einer der am schnellsten wachsenden Märkte gewesen.
Im Gegensatz zu Emirates hat Etihad bereits wenige Tage nach dem Angriff der Hamas auf Israel Flüge nach Tel Aviv wieder aufgenommen. Solange es sicher sei, werde Etihad weiter dorthin fliegen, sagte Etihad-Chef Antonoaldo Neves CNBC. Die Nachfrage nach Israel sei noch immer da, allerdings weniger stark als früher.
Trotz des Konflikts ist Boeing überzeugt, dass der Markt im Nahen Osten weiter wachsen wird. Der US-Flugzeugbauer geht davon aus, dass sich die Flotte dort bis 2042 mehr als verdoppeln wird. Den Bedarf an neuen Passagierflugzeugen bis dahin sieht Boeing bei 3.025 Jets, darunter 1.350 Großraumflugzeugen.
Saudi-Arabiens Ambitionen
Einen Teil davon werden Neuankömmlinge wie Riyadh Air aus Saudi-Arabien und andere Fluggesellschaften betreiben, die Emirates und Co sowie Turkish Airlines nacheifern wollen. Um die Abhängigkeit von Öl zu verringern, will sich Saudi-Arabien nun öffnen und nach dem Vorbild anderer Golfstaaten die Tourismusindustrie ausbauen. 2030 auf 330 Millionen Fluggäste zu kommen lautet das Ziel des Landes. Das wären dreimal so viele wie jetzt.
Die Zahl der Flugdestinationen von und nach Saudi-Arabien wiederum soll von 99 auf 250 steigen. Dabei helfen, das zu erreichen, sollen die zweite staatliche Fluggesellschaft Riyadh und die Neupositionierung von Saudia. Riyadh will im nächsten Jahr den Dienst aufnehmen und Saudia ihre Langstreckenflotte vergrößern. Beide haben im März insgesamt 78 787-Dreamliner bei Boeing bestellt.
Zumindest Emirates-Chef Clark hat keine Angst vor verstärktem Wettbewerb. Wenn Saudi-Arabien Wirtschaft und Tourismus wie geplant ausbaue, steige der Bedarf an Flügen, ist er überzeugt.