Die Sanktion, auf die Russland nicht vorbereitet war
Von Eduard Steiner, Moskau
Während die militärische Situation in der Ukraine verfahren scheint und der Westen über weitere Sanktionen gegen Russland nachdenkt, herrscht unter Experten Konsens darüber, dass die Sanktionen gegen die russische Zentralbank eine der bisher effektivsten Maßnahmen sind – zumindest wenn es um eine rasche Wirkung geht. Langfristig als extrem schwerwiegend wird in Russland das westliche Exportverbot für Halbleiter gewertet, für deren eigene Herstellung Russland bislang nicht das nötige Know-how hat.
Als kurzfristig empfindlichste Sanktion wurde im Vorfeld der kriegerischen Eskalation immer der Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift eingestuft. Der Beschluss der USA und Westeuropas, die Reserven der russischen Zentralbank zu blockieren, erweist sich aber als mindestens so gravierend. Im Unterschied zur Swift-Maßnahme war Russland darauf nicht vorbereitet. Selbst in Expertenkreisen war dies im Vorfeld nicht diskutiert worden. „Wenn Russland damit gerechnet hätte, hätte es die Hälfte seiner Währungsreserven nicht in westlichen Ländern geparkt gelassen“, sagt Vasily Astrov, Russlandspezialist am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW).
Zuletzt waren die internationalen Gold- und Währungsreserven, wohlgemerkt die fünftgrößten unter allen Ländern, auf dem Rekordhoch von 643,2 Mrd. Dollar. Etwas mehr als die Hälfte davon befindet sich inzwischen unter Sanktionen.
Dabei war die russische Zentralbank im Laufe der vergangenen Jahre auch hier vorsichtiger geworden. Vor allem seit den ersten westlichen Sanktionen nach der Krim-Annexion 2014 begann sie umzuschichten und sich vor allem vom Dollar loszusagen. Zuletzt wurde der Dollar-Anteil an den Rücklagen zwischen Juni 2020 und Juni 2021 nochmals kräftig von 22,2 auf 16,4% zurückgefahren. Demgegenüber gewann der Euro an Bedeutung. Sein Anteil an den russischen Reserven stieg im Jahresvergleich von zuvor 29,5 auf 32,2%. Auch die Investitionen in britische Pfund wurden auf 6,5% angehoben.
Gold hilft nur bedingt
Mitte Februar lagen laut russischer Zentralbank rund 150 Mrd. Dollar als Bargeld oder Einlagen im Ausland, dazu Wertpapiere im Ausmaß von etwa 310 Mrd. Dollar, die im Ausland deponiert sind. Da sich nicht alles in westlichen Ländern befindet, ist ein Teil des Vermögens von den Sanktionen auch nicht betroffen: 13,1% des Geldes sind in chinesischen Yuan investiert, dazu 5% bei Internationalen Organisationen hinterlegt – als Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds. Vor allem aber hält die russische Zentralbank einen ungewöhnlich hohen Teil ihrer Reserven in Gold: Zuletzt waren es 21,7% bzw. etwa 140 Mrd. Dollar – hinterlegt im Inland. Das Gold zu verkaufen könnte sich unter den gegebenen Umständen aber als schwierig erweisen: Russland-Experte Astrov erinnert an Venezuela, das angesichts der Sanktionen einen Bestand von zwei Tonnen Gold auf den Markt bringen wollte und dies auf dem Umweg über Afrika und teils mit Rabatten bewerkstelligen musste. „Russland aber hat ungefähr 2000 Tonnen Gold“, so Astrov.
Die sanktionsbedingt fehlende Liquidität erschwert es der russischen Zentralbank jedenfalls, auf dem Devisenmarkt zu intervenieren, obwohl der drastische Rubel-Absturz dies gerade jetzt erfordern würde. Auch bräuchte sie das Geld, um Kapitalaufstockungen in den von den Sanktionen ebenfalls getroffenen Banken vornehmen zu können.
In einer ersten Reaktion hat die Zentralbank daher auf klassische Maßnahmen zurückgegriffen, um den Devisenmarkt zu stützen. Zum einen wurden Kapitalverkehrsbeschränkungen beschlossen und die Geldausfuhr auf 10000 Dollar beschränkt. Zum anderen wurden die russischen Exportunternehmen angewiesen, 80% ihrer erzielten Deviseneinnahmen in Rubel zu konvertieren.
Zinserhöhung als Hilfsmittel
Es sind dies nicht die einzigen Maßnahmen, die Russlands Währungshüter zuletzt ergriffen haben. So erhöhten sie den Leitzins drastisch von 9,5 auf 20% und signalisierten zugleich ihre Bereitschaft zu weiteren Anhebungen. Ein vergleichbarer Schritt war nur Mitte Dezember 2014 unternommen worden, als die Zentralbank den Leitzins von 10,5 auf 17% hochgeschraubt hatte. Extrem auf Inflationsbekämpfung bedacht, hat sie danach den Zins nur langsam auf letztlich 4,25% (einen historischen Tiefstwert) im Juli 2020 gesenkt. Seit März 2021 zieht sie ihn jedoch wieder zügig hoch.
Unter Experten ist im Übrigen eine Frage nicht gänzlich geklärt: Und zwar, inwieweit die knapp 200 Mrd. Dollar im russischen Staatsfonds, Nationaler Wohlfahrtsfonds genannt, Teil der Währungsreserven der Zentralbank sind. Der Fonds wurde durch eine eiserne Budgetregel etwa durch Einnahmen aus dem Öl-Export gefüllt und betrug Anfang 2022 bereits 11,7% des BIP. Nun wurden im Zuge des Krieges die strikten Ausgaberegeln gelockert.