LeitartikelKonsum

Die Treue zum Markenartikel schwindet

Die Verbraucher sind weltweit verunsichert und achten so stark wie schon lange nicht mehr auf ihre Ausgaben. Die Markenanbieter, die unter Kostendruck stehen, müssen sich zwischen der Verteidigung ihrer Margen und ihrer Marktanteile entscheiden.

Die Treue zum Markenartikel schwindet

Konsum

Die Treue zum Markenartikel schwindet

Von Martin Dunzendorfer

Viele Krisen der vergangenen sechs Jahre – vor allem die Corona-Pandemie und Russlands Einmarsch in die Ukraine – hatten Folgen für die globale Wirtschaft. Es kam zur Unterbrechung von Lieferketten, Produktionsmittel fehlten, die Inflationsraten schossen in die Höhe und es kam zu Verwerfungen auf den Kapitalmärkten. Als wären diese Belastungen, die bis heute ausstrahlen, nicht genug, hat US-Präsident Donald Trump in nur drei Monaten Amtszeit mit politischem Wahnsinn – etwa die Ukraine zum Verantwortlichen für die russische Invasion zu machen oder den Nato-Beistandspakt in Frage zu stellen – und seiner Zoll-Obsession totale Verunsicherung erzeugt; sowohl bei Regierungen als auch in Unternehmen und bei Privatleuten. Die Folge ist eine Konjunkturflaute, die viele Länder erfasst hat oder noch erfassen wird. Gleichzeitig zieht die Inflation nach zwei Jahren der Abschwächung wieder an. Selbst eine Kehrtwende in der US-Außen- und Handelspolitik kann den angerichteten Schaden nicht wieder gutmachen.

Die Inflation kommt zurück – schon wieder

Die volle Wucht der von Trump angekündigten Erhöhung der Importzölle auf die Inflationsrate wird sich freilich erst in den Monaten nach deren Einführung zeigen. Die Preise in den USA werden kräftig anziehen, wenn zunächst ausländische Produkte teurer werden, weil die Hersteller die zusätzlichen Zölle auf die US-Verkaufspreise draufschlagen. In einem zweiten Schritt werden auch die Preise für inländische Waren steigen, da die Nachfrage nach ihnen zunimmt, weil vielen US-Verbrauchern dann ausländische Produkte als zu kostspielig erscheinen werden und sie auf günstigere Artikel aus dem Inland ausweichen. Mehr Nachfrage führt bei gleichbleibendem Angebot zu höheren Preisen. Volkswirtschaftslehre, 1. Semester.

Im Oval Office wird geträumt

Trumps Fiktion ist, dass ausländische Hersteller ihre Produktion in die USA verlegen, um den Zöllen zu entgehen. Dadurch würden Arbeitsplätze geschaffen und die Wertschöpfung im Land würde steigen. Was er offenbar nicht wahrhaben will: Erstens dauert es in den meisten Branchen Jahre von der ersten Planung einer Fabrik bis zum Produktionsstart. Wenn aber das erste fertige Produkt die Werkshalle erst verlässt, wenn längst ein neuer Präsident im Weißen Haus sitzt, der womöglich ganz andere wirtschaftspolitische Vorstellungen hat, wieso dann jetzt Hunderte von Millionen an Euro bzw. Dollar für ein solches Großprojekt ausgeben, das sich vielleicht in wenigen Jahren nicht mehr rechnet? Zweitens ist begründete Zuversicht für die eigenen Geschäftsaussichten die Voraussetzung für Investitionen. Im gegenwärtigen Umfeld, das sich wohl bis 2029 nicht signifikant aufhellen dürfte, fehlt dafür bei den meisten Unternehmen jedwede Grundlage.

Zinssenkungsphase in den USA gestoppt

Die US-Notenbank ist über die treibende Wirkung der Zölle auf die inländischen Preise besorgt. Da sich der Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten bisher stabil zeigt, wird die Fed in diesem Umfeld ihre Zinssenkungsphase stoppen, um nicht selbst zur Preissteigerung beizutragen. Die Andeutung dessen durch Fed-Chef Jerome Powell hat Trump bereits auf die Palme gebracht.

Es gibt aber keinen Grund, allein die USA für die Verdunkelung des Wirtschaftshimmels verantwortlich zu machen. In Deutschland wird das im März beschlossene Sondervermögen von 500 Mrd. Euro, das vorrangig zur Förderung von Wirtschaft und Infrastruktur sowie zur Aufrüstung eingesetzt werden soll, ebenfalls preistreibende Wirkung haben. Diese Neuverschuldung – denn nichts anderes ist das „Sondervermögen“ – wird nicht ganz so inflationär wirken wie Trumps Importzölle, weil die Nachfrage nach Instandsetzung bzw. Restaurierung von Brücken, Tunneln, Straßen und öffentlichen Gebäuden kaum private Auftraggeber verdrängt. Doch wird befürchtet, dass es zu erheblichen Fehlallokationen kommen wird; dass also viele Milliarden nicht für die Modernisierung der Infrastruktur, sondern z.B. für öffentlichen Konsum – etwa Verwaltungsleistungen – ausgegeben werden, was dann inflationär wirkt.

Werbe- und Investitionsbudgets vor Kürzungen

Welche Auswirkungen hat dieses düstere Szenario auf den Konsum, der in den USA etwa 70% und in der EU sowie in Deutschland rund die Hälfte zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt? Er wird zurückgehen, wenn sich die Aussichten für Privatleute eintrüben. In Europa deutlich stärker als in den USA, wo die Verbraucher erfahrungsgemäß ihre Käufe selbst in einem negativen Umfeld zunächst nur wenig einschränken. Die nächste Frage ist, in welchen Bereichen und wie gespart wird. Schwache Konjunkturprognosen sowie die Angst vor Arbeitsplatz- und generell Wohlstandsverlust werden Konsumenten verstärkt dazu bringen, teure Markenartikel zu übergehen und stattdessen günstigere Handels- und No-Name-Produkte zu kaufen. Da wird Geld für die „Stärkung der Marke“, wie es bei den Anbietern oft heißt, wenig nutzen. Ohnehin müssen auch die Unternehmen angesichts der befürchteten Rezession sparen – die Werbe- und Investitionsbudgets werden in solch einem Umfeld nicht ungeschoren davonkommen. Es wird also erstens im öffentlichen Raum weniger Aufmerksamkeit auf die Marke gezogen und zweitens wird es weniger Innovationen geben.

Den ersten Umsatz- und Gewinnwarnungen werden weitere folgen

Im globalisierten Konsumgütermarkt tangieren die Absatzprobleme fast jeden Markenanbieter. Vor kurzem haben Procter & Gamble und Colgate-Palmolive, zwei der größten US-Branchenvertreter, ihre Umsatz- und Ergebnisziele für 2025 gesenkt. Beide begründeten dies mit der trüben Verbraucherstimmung sowie den laufenden Handelsstreitigkeiten. In Europa bestätigten Nestlé und Unilever zwar ihre Erwartungen, stimmten aber durch Hinweise auf dieselben Belastungsfaktoren auf mögliche negative Überraschungen ein.

Je düsterer die Aussichten, desto stärker wird gespart

Die These, dass sich Konsumenten auch in schwierigen Zeiten den „kleinen Luxus“ leisten, aber auf größere Ausgaben wie eine Fernreise, ein neues Auto oder eine neue Küchenmöblierung verzichten, ist umstritten. Je düsterer die Aussichten sind, desto stärker dürfte gespart werden. Das heißt, dass auch Sneakers und Shirts von Adidas, Puma oder Nike, Smartphones von Apple oder Kosmetik von L'Oréal durch günstigere No-Name- und Handelsmarkenprodukte substituiert werden könnten. Letztere haben längst ihren Malus als qualitativ minderwertig verloren und genießen inzwischen vielfach – unterstützt durch Ergebnisse von Warentests – einen guten Ruf. Zudem ist das Preis-Leistungs-Verhältnis in der Regel fair.

Wie in Zeiten der Pandemie

Auch Bierbrauer wie Anheuser-Busch Inbev, Heineken und Carlsberg bzw. Spirituosenhersteller wie Diageo, Pernod Ricard, Davide Campari und Remy Cointreau werden ernste Absatzprobleme bekommen, denn ähnlich wie in den Tagen der Pandemie geht man in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht mehr so oft aus. Das wirkt sich insbesondere auf die Erlöse in der Gastronomie und in Hotels aus, wo viele Markengetränke abgesetzt werden.

Hinzu kommt, dass die Markenhersteller aufgrund gestiegener Kosten ihre Preise bereits spürbar erhöht haben, um ihre Margen relativ stabil zu halten. So kam es zu Marktanteilsverlusten, denn die Konsumenten sind nicht bereit, ihre gewohnten Markenprodukte zu jedem Preis zu kaufen. Doch viele Produzenten erklären, dass die Preise weiter erhöht werden müssen, um die Kostensteigerungen der letzten zwei Jahre auszugleichen und absehbare Mehrkosten aufzufangen. Die Unvereinbarkeit der Ziele, einerseits die Margen zu verteidigen, andererseits keine Kunden und damit Marktanteile zu verlieren, führt dann mitunter zu hilflos wirkenden Promotions wie Rabattaktionen oder Angeboten in unpassenden Verkaufsstationen – etwa teure Markenkleidung in Discounter-Ketten. Das schadet dem Markenimage nachhaltig – das Schlimmste, was einem Label passieren kann.

Den Reichen ist eine Rezession egal

Eine Sonderstellung unter den Konsumgütern nehmen Luxusgüter ein: Wer sich zu jeder Zeit eine 40.000-Euro-Uhr von Rolex leisten kann, nicht ins Grübeln kommt, bevor man eine Handtasche für schlappe 3.000 Euro von Louis Vuitton oder einen Füllfederhalter von Montblanc für 700 Euro kauft, dem werden die Konjunkturaussichten egal sein. So jemand bleibt seinen Edelmarken treu, egal ob es um Kleidung von Gucci, Prada oder Dior, um Designer-Möbel von Hay oder Lautsprecher von Teufel geht.

Tesla-Fahrer schämen sich

Doch selbst im Nobelsegment kann das Wetter innerhalb kurzer Zeit umschlagen. Durch das Gebaren des Trump nahestehenden US-Unternehmers Elon Musk im vergangenen halben Jahr, gilt es in progressiv-liberalen Kreisen der USA und im Ausland längst als peinlich, einen Tesla zu fahren. Folgerichtig sind die Verkaufszahlen eingebrochen. So wie der E-Autopionier Musk bzw. Tesla regelrecht boykottiert werden und Touristen inzwischen die USA als Reiseziel meiden, so könnten Nicht-US-Konsumenten verstärkt dazu übergehen, sich grundsätzlich US-Marken zu verweigern, wenn die Regierung unter Trump weiterhin gegen alle diplomatischen Regeln verstößt und sich geriert, als würde im Oval Office für die Welt entschieden, was richtig oder falsch, wahr oder gelogen ist. US-Konzernen wie PVH mit den Luxusmarken Calvin Klein und Tommy Hilfiger und der ebenfalls börsennotierten Victoria's Secret würde das kaum gefallen und den Markenriesen für Durchschnittsbürger, Procter & Gamble und Colgate-Palmolive, sicher auch nicht.

Verunsicherte Konsumenten achten auf ihre Ausgaben. Markenanbieter, die unter Kostendruck stehen, haben nun die Wahl zwischen Margenrückgang und Marktanteilsverlust.

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