Die Wall Street brütet die nächste Krise aus
Wall Street
Hochmut kommt vor dem Knall
Von Alex Wehnert
Die Wall Street sieht sich gegen Risiken in schlecht regulierten Marktnischen abgesichert. Dabei brüten Amerikas Banken selbst die nächste Krise aus.
Die Wall Street braut sich momentan eine übelriechende Suppe zusammen, die sie nach außen allerdings mit dem Selbstbewusstsein eines Sternekochs serviert. Denn Amerikas Banken legen etwas mehr als 16 Jahre nach der Finanzkrise wieder im großen Stil strukturierte Finanzprodukte jeglicher Couleur auf: Die Emissionen von Asset-Backed Securities (ABS) haben im vergangenen Jahr mit 335 Mrd. Dollar ein Rekordvolumen erreicht – bei Collateralized Loan Obligations (CLOs), in denen eine Vielzahl an Unternehmenskrediten gepoolt werden, schoss die Begabe mit 201 Mrd. Dollar ebenfalls auf das höchste Niveau jemals.
Parallelen zum Crash von 2008
Das Ende der Fahnenstange ist dabei wohl noch nicht erreicht, S&P Global rechnet für 2025 erneut mit Spitzenwerten. Die Konferenz SFVegas, das große Jahrestreffen der Structured-Finance-Branche, zog im Februar 10.000 Besucher an und stellte das Weltwirtschaftsforum in Davos damit weit in den Schatten. Zuletzt zog es solche Massen in den Jahren 2006 und 2007 an, kurz bevor der Kollaps des US-Häusermarkts die Große Finanzkrise auslöste. Parallelen zum Crash von 2008 werden von Untergangspropheten zwar gerne bemüht, in diesem Fall drängen sie sich aber geradezu auf.
Zu Beginn des Jahrtausends blähte sich die US-Immobilienblase bekanntlich gewaltig auf, auch Amerikaner mit niedrigen Bonitätsnoten sicherten sich Hypothekenkredite mit lockeren Konditionen teils ohne Anzahlungen. Banken sammelten diese in Mortgage-Backed Securities (MBS) und reichten die Risiken somit an den Markt weiter. Doch als die Häuserpreise absackten und der Kreditmarkt einfuhr, rangen einige der führenden Investmenthäuser der Wall Street plötzlich ums Überleben.
Trump befeuert spekulative Aktivitäten
Wenngleich verschärfte Auflagen im Nachgang der Krise der Branche riskante Geschäfte mit strukturierten Wertpapieren erschwert haben, können Banken und spezialisierte Assetmanager heute gar nicht genug von solchen Deals bekommen. Die durch den Antritt von Präsident Donald Trump – der für umfangreiche Deregulierung steht und Banken schon in seiner ersten Amtszeit wieder mehr spekulative Aktivitäten ermöglichte – noch zusätzlich ermutigte Finanzbranche wird dabei kreativer denn je. Neben Unternehmensanleihen und Hypotheken auf Wohnimmobilien verbrieft sie Konsumentenkredite aus dem Kartengeschäft der Banken und die Zinskomponenten aus dem Leasing-Geschäft mit Vehikeln von Flugzeugen über Autos bis hin zu Golf-Carts sowie Finanzierungen, die an den Ausbau von Solarenergieanlagen oder Datenzentren für Anwendungen künstlicher Intelligenz gebunden sind.
Investoren stehen unter dem falschen Eindruck, dass die hoch renditeträchtigen Instrumente heute sicherer sind als vor der Finanzkrise. Wie schwierig die verbundenen Kredit- und Marktrisiken zu durchschauen sind, hat allerdings die Regionalbankenkrise 2023 gezeigt. Dass die Silicon Valley Bank nach einer Reihe rapider Zinserhöhungen der Federal Reserve unter Liquiditätsdruck stand und gezwungen war, neben Staats- und Kommunalanleihen auch MBS unter hohen Verlusten abzustoßen, trug entscheidend zu ihrem Kollaps bei.
Ratingagenturen verschlafen Abwärtstrends
Ratingagenturen wiegen Investoren dabei wiederholt in trügerischer Sicherheit: Standen sie 2008 zu Recht dafür in der Kritik, infolge von Interessenkonflikten zu hohe Bonitätsnoten für hypothekenbesicherte Wertpapiere mit Bezug auf den amerikanischen Häusermarkt ausgestellt zu haben, verschliefen sie zuletzt die Abwärtsspirale im Gewerbe-Segment. Sogenannte Single-Asset, Single-Borrower Bonds, bei denen ein Lender Kredite für einzelne Shoppingzentren oder Bürogebäude in einer MBS verpackt, kamen auch lange nach der Hochphase der Corona-Pandemie mitunter noch auf höhere Ratings als Treasuries. Die strukturellen Schwierigkeiten von Fitch, Moody’s und S&P Global bei der Einstufung von Immobilieninvestments lassen dabei auch für andere Marktsegmente Schlimmes befürchten.
Wer jedoch heute bei Wall-Street-Bankern bezüglich der Risiken des neuen Booms bei Asset-Based Finance nachfragt, erntet häufig überhebliche Antworten. Geldhäuser hätten sich weitaus besser als in früheren Zeiten abgesichert und träten infolge einer restriktiveren Finanzregulierung ohnehin häufiger als Vermittler für stärker spezialisierte Investmentfirmen wie Blackstone oder KKR auf. Doch damit verschiebt sich die Aktivität in eine noch intransparentere Ecke des Marktes. Und das Lending der Banken, die in einem verschärften Depositenwettbewerb stecken und ihre Zinsmargen über renditeträchtigere Kreditgeschäfte zu stützen suchen, an Intermediäre ohne Einlagengeschäft boomt. Laut S&P Global hat die Vergabe an Adressen wie Private-Credit-Gesellschaften und Hedgefonds 2024 erstmals ein Volumen von über 1 Bill. Dollar erreicht.
Risiken für die Finanzstabilität voraus
Die potenziellen Folgen sind eine niedrigere Underwriting-Qualität, plötzliche Bewertungsabschläge, höhere Verluste durch Kreditausfälle – und damit letztlich Gefahren für die Finanzstabilität. Denn Institute können ihre Risiken noch so sehr auslagern und sich somit isoliert wähnen: An den Märkten bestimmt Wahrnehmung die Realität. Und wie schnell eine Vertrauenskrise in einzelnen Segmenten auf unbeteiligte Institute überschwappen kann, hat die US-Regionalbankenkrise 2023 untermauert, die auch in Europa schwere Folgen entfaltete. Die Losung „Diesmal wird alles anders“ ist an der Wall Street leider noch nie aufgegangen. Auch diesmal dürfte der Hochmut der Banker damit vor dem großen Knall kommen.