Dürre im US-Bankensystem verunsichert Investoren am Fed-Funds-Markt
Die Turbulenzen im US-Bankensystem rütteln auch den Federal-Funds-Markt durch. Die täglichen Trading-Volumina in dem Segment, in dem staatlich gestützte US-Kreditinstitute bei der Vergabe von Übernachtkrediten mit Geschäftsbanken interagieren, haben sich zuletzt enorm volatil entwickelt. Schossen sie Ende Januar noch auf ein Rekordhoch von 120 Mrd. Dollar und lagen sie nach Schwankungen auf hohem Niveau am 7. März bei 118 Mrd. Dollar, brachen sie am Montag auf 41 Mrd. Dollar ein. Dies bedeutete das niedrigste tägliche Niveau im Datensatz der Fed von New York seit Dezember 2020 – anschließend kletterten die Volumina wieder auf 79 Mrd. Dollar.
Geldpolitische Unsicherheit
Die Schwankungen führen Analysten insbesondere auf die Unsicherheit über die weitere geldpolitische Strategie der Federal Reserve zurück, die der Kollaps des Tech-Finanzierers Silicon Valley Bank (SVB) und dessen Folgen ausgelöst haben. So gehen die Analysten der Deutschen Bank und von Goldman Sachs davon aus, dass die Währungshüter infolge der jüngsten Verwerfungen im Bankensystem bereits auf ihrer Zinssitzung in der kommenden Woche gezwungen sein werden, einen weniger restriktiven oder sogar lockereren Kurs einzuschlagen.
Die weitere Entwicklung der Geldmenge und der Zinsen hat erheblichen Einfluss auf die Struktur des Fed-Funds-Marktes und die Zahl der Teilnehmer. Bei einem typischen Trade verleiht eine der elf Federal Home Loan Banks (FHL), deren Geschäftszweck die Refinanzierung von Hypothekarkrediten ihrer über 6 500 Mitgliedsbanken und -Versicherer ist, über Nacht überschüssige Mittel, ohne dafür Sicherheiten zu verlangen.
Die größte Gruppe der Kreditnehmer sind dabei traditionell die US-Ableger ausländischer Finanzinstitute. Diese zapfen den Fed-Funds-Markt an, um weitgehend risikofreie Gewinne über Arbitrage-Trades in Verbindung mit dem sogenannten Interest on Overnight Reserve Balances (IORB) – also Zinsen auf Übernacht-Barguthaben – zu erzielen, indem sie die geliehenen Mittel bei der Fed liegen lassen. Den FHL-Banken als staatlich geförderten Kreditinstituten ist dies im Gegensatz dazu nicht möglich.
Schwankende Anteile
„Der Anteil der Auslandsbanken im Fed-Funds-Markt nimmt in Phasen quantitativer Straffung üblicherweise ab“, sagt Steven Zeng, Marktstratege bei der Deutschen Bank in New York. „Zum Ende des vergangenen Lockerungszyklus im Jahr 2015 nahmen sie ein Gewicht von 80% ein, im Zuge der Fed-Zinserhöhungen bis Dezember 2018 ging ihr Anteil bis auf 52% zurück.“ Nach einem Sprung auf 96% während der Corona-Pandemie sei der Anteil bis zum Schlussquartal 2022 wieder auf 80% gesunken – viel deute darauf hin, dass er seither noch abgenommen habe. Die Analysten der britischen Großbank Barclays gehen etwa davon aus, dass der Anteil der US-Banken am Segment zuletzt auf 25% geklettert ist.
„Angesichts gestiegener Renditen und der Zinskurveninversion können Sparkonten nicht mehr mit Treasuries oder Geldmarktmarktfonds konkurrieren“, betont Zeng. „Dies führt zu einem deutlichen Rückgang der US-Bankeinlagen.“ Laut dem jüngsten Bericht des staatlichen Sicherungsfonds FDIC sind die Einlagen der US-Banken im zweiten und dritten Quartal 2022 so stark gesunken wie nie seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 1984. Sie fielen um 370 und 206 Mrd. Dollar, was die ersten zwei aufeinanderfolgenden Quartale mit Rückgängen seit 2010 bedeutete.
Die Ratingagentur S&P Global geht davon aus, dass sich der Negativtrend im Schlussquartal 2022 mit langsamerem Tempo fortgesetzt hat. Im bisherigen Jahresverlauf kam es gerade bei kleineren und mittelgroßen Instituten zu einem weiteren kräftigen Einnahmenschwund, von der Krisenbank SVB flossen Anfang März binnen weniger Tage 42 Mrd. Dollar ab. „Dadurch müssen Finanzinstitute ihre Liquidität über andere Quellen sichern“, sagte Zeng bereits im Februar. Damit sollte der Deutsche-Bank-Stratege recht behalten: Im Zuge der jüngsten Turbulenzen sahen sich Geldhäuser wie SVB zu enorm verlustreichen Assetverkäufen gezwungen und verschreckten damit Kunden und die Investoren an den globalen Finanzmärkten.
Die Federal Reserve versucht derweil, die Lage durch die Einführung ihres neuen „Bank Term Funding Program“ zu beruhigen. Geldhäuser, die US-Staatsanleihen, hypothekenbesicherte Wertpapiere oder andere Sicherheiten hinterlegen, können darüber Kredite erhalten. Die Sicherheiten gehen dabei zu 100 Cent auf den Dollar ein, auch wenn sie weit unter diesem Niveau gehandelt werden. Gedeckt wird das Programm durch bis zu 25 Mrd. Dollar aus einem Reservefonds des US-Finanzministeriums, der eigentlich für Wechselkursinterventionen vorgesehen ist.
Vor den derzeitigen Marktturbulenzen schreckten US-Finanzinstitute indes häufig davor zurück, die Notfallprogramme der Notenbank in Anspruch zu nehmen – denn damit war ein Stigma der finanziellen Instabilität verbunden. „Im Anschluss an die Finanzkrise 2008 straften Aktieninvestoren Banken hart dafür ab, dass sie das ‚discount window‘ anzapften – zahlreiche Finanzinstitute haben daraus ihre Lektion gelernt“, führt Zeng aus.
Banken, die mittels Übernachtkrediten von privaten Kontrahenten Liquidität generierten, müssten dagegen üblicherweise keine schweren Konsequenzen für ihre Aktienkurse fürchten. Dies führt in Phasen knapper Liquidität wiederum zu einem steigenden Anteil der US-Banken am Fed-Funds-Markt. Die Aktivität stammt dabei hauptsächlich von kleinen bis mittelgroßen Banken, denen der Zugang zu einer breiten Basis an Einlagen fehlt – also eben jenen Instituten, die im Zuge der jüngsten Verwerfungen besonders unter Druck geraten sind.
Steigende Kosten
„Die Kosten der Kredite im Fed-Funds-Markt sind schon durch die Zinserhöhungen der Fed gestiegen“, führt Zeng aus. Zugleich trägt die zwischenzeitlich explodierte Nachfrage ebenfalls zu steigenden Kosten dieser Trades bei. „Wenn die Bankeinlagen zurückgehen, steigt der Wettbewerb um liquide Mittel, und die Zinssätze innerhalb des Fed-Funds-Markts steigen“, unterstreicht Zeng. Im laufenden Jahr kletterten die höchsten Raten im Segment um zeitweise um 15 Basispunkte über die Zielspanne der Fed, die bei 4,5 bis 4,75% liegt. Bis Oktober waren noch so gut wie alle Trades unterhalb dieses Korridors bepreist worden. „Der Markt ist immer noch lebhaft“, sagt Zeng.
Nun ergeben sich aber gegenläufige Effekte: Zwingt der jüngste Aufruhr im Bankensystem die US-Währungshüter tatsächlich zu einer quantitativen Lockerung, dürften die IORB-Arbitrage-Trades der Auslandsbanken wieder zulegen – zumindest, wenn sich historische Trends fortsetzen. Hält die Fed aber, wenn auch in verringerter Schärfe, an einem restriktiven Kurs fest und führt die Dürre im Bankensystem zu einer höheren kurzfristigen Nachfrage der US-Geldhäuser nach Übernachtkrediten, könnten die Profitmöglichkeiten der Auslandsbanken mit IORB-Arbitrage-Trades laut Zeng weiter abnehmen.
Marktteilnehmer achten zudem genau auf Entwicklungen zur Overnight Reverse Repo Facility (ON RRP) der Fed. Diese stellt eine alternative Partizipationsmöglichkeit für Geldmarktinvestoren dar, wenn die Fed-Zielmarken unterhalb der IORB-Sätze liegen, und setzt damit eine Untergrenze für Übernachtzinsen. Der Spread zwischen den ON-RRP- und IORB-Sätzen ist derzeit auf 10 Basispunkte festgelegt. Investoren spekulierten in der Vergangenheit darüber, dass die US-Notenbank das Differential auf den alten Wert von 25 Basispunkten zurückführen könnte.
Nach Zengs Ansicht ist eine sogenannte technische Anpassung aber unwahrscheinlich, da in deren Zuge die IORB-Raten erhöht oder die ON-RRP-Sätze unter die Zielspanne der Fed gedrückt werden müssten. „Dies würde an den Finanzmärkten, die ohnehin von einer Welle der Unsicherheit erfasst sind, nur zusätzliche Verwirrung stiften“, sagt der Marktstratege. „Doch wenn die Arbitragemöglichkeiten weiter erodieren, könnten sich die Auslandsbanken ganz aus dem Markt verabschieden.“