Ein ganzes Land sieht schwarz
Schwarz ist die Farbe der Stunde in Frankreich. Statt strahlend königsblau grüßt das hölzerne Eingangstor des neben der Kathedrale Saint-André gelegenen Palais Rohan in Bordeaux Besucher in tristem Schwarz-Grau. Das verkohlte Portal des 1771 bis 1784 als Sitz für den Erzbischof erbauten Palastes, der der südwestfranzösischen Stadt seit 1835 als Rathaus dient, ist über die Grenzen Frankreichs hinaus zum Symbol für die gewalttätigen Ausschreitungen geworden, zu denen es am Rande der Proteste gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron in den vergangenen Tagen gekommen ist.
Touristen, aber auch Einwohner von Bordeaux kommen seit dem Brand zum Hôtel de Ville, um das durch den Brand zerstörte Eingangstor in Augenschein zu nehmen. „Barbaren“, verurteilen fast alle von ihnen die Brandstifter. Nur wenige finden so wie eine ältere Frau eine Art Rechtfertigung für die mutwillige Zerstörung im Zuge der Proteste. „Emmanuel Macron schürt Zorn und Frankreich brennt“, sagte sie der Regionalzeitung „Sud Ouest“. Dabei haben die Personen, die im Zusammenhang mit dem in Brand gesteckten Portal von der Polizei festgenommen wurde, nach Angaben von Staatsanwalt Olivier Etienne nicht aus politischen Motiven gehandelt, sondern weil sie in den Ausschreitungen am Rande der Proteste gegen die Rentenreform ein Ventil für ihre Wut gesehen haben. Neben Obdachlosen und Jugendlichen am Rande der Gesellschaft gehören auch Studenten im Alter von 18 bis 20 Jahren zu den Festgenommenen, von denen ein Teil im Eilverfahren verurteilt werden soll.
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Schwarz ist auch die dominierende Farbe in vielen Arrondissements von Paris. Denn in rund der Hälfte von ihnen stapeln sich seit drei Wochen schwarze Müllsäcke am Rande der Straßen, da Mitarbeiter der städtischen Müllabfuhr gegen die Rentenreform streiken. Die restlichen Arrondissements, in denen die Müllabfuhr privatisiert worden ist, waren bisher nicht von dem Streik betroffen. Zwar hat die Gewerkschaft CGT die Mitarbeiter des privaten Müllabfuhrunternehmens Derichebourg aufgerufen, diese Woche im 10. und 18. Arrondissement ebenfalls die Arbeit niederzulegen, doch bisher ohne Erfolg. „Es gab eine Streikankündigung, doch alle Mitarbeiter sind Montag arbeiten gegangen“, erklärt Thomas Derichebourg, der Vorsitzende von Derichebourg Environnement.
Pikanterweise sind es gerade die edleren Viertel im 5., 6., 8. und 16. Arrondissement, die von dem Streik der städtischen Müllabfuhr betroffen sind, so dass sich Touristen auf dem Weg zu Sehenswürdigkeiten wie dem Arc de Triomphe ihren Weg vorbei an rund 8000 Tonnen Müll bahnen müssen.
Der Müllstreik sorgt auch auf politischer Ebene für Stunk, da die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo erklärte Gegnerin der Rentenreform ist. Vertreter anderer Parteien werfen ihr deshalb vor, den Streik der Müllabfuhr zu unterstützen. Angesichts der wachsenden Müllberge hat der Polizeipräfekt inzwischen Mitarbeiter der Müllabfuhr requiriert, doch sie kommen nicht hinterher. Auch die Blockade der Müllverbrennungsanlagen im Großraum Paris ist mittlerweile aufgehoben, doch die Streikenden lassen die Müllwagen nur tröpfchenweise auf das Gelände. Bis sich die Lage wieder normalisiert, dürfte noch einige Zeit vergehen. In einigen Vierteln legen deshalb Anwohner Geld zusammen, um private Reinigungsdienste anzuheuern.
Restaurantbesitzer beklagen Umsatzeinbußen von im Schnitt 25%, auch in Städten wie Rennes, Nantes, Montpellier, Metz, Le Havre und Antibes, in denen die Müllabfuhr ebenfalls streikt. Denn neben Müllbergen sitzen zu müssen, dazu hat niemand Lust. Hotels müssen nach Angaben des Hotel- und Gaststättenverbandes Groupement des Hôtelleries et Restaurations wegen der Proteste gegen die Rentenreform ebenfalls Umsatzeinbußen hinnehmen. Ihre Auslastung ist im Schnitt um 10% bis 15% gesunken. Häufig müssen Gäste ihren Aufenthalt kurzfristig stornieren, da ihr Zug oder Flug wegen des anhaltenden Streiks in letzter Minute gestrichen wurde.