Schwellenländeraktien

Emerging Markets strapazieren die Geduld der Investoren

Die Aktienmarkt-Underperformance der Schwellenländer gegenüber den Industrienationen setzt sich fort. Unter anderem die Regulierungskampagne Chinas dürfte bei Investoren weiter für Unsicherheit sorgen.

Emerging Markets strapazieren die Geduld der Investoren

Von Christopher Kalbhenn,

Frankfurt

Den Fondsmanagern scheint der Geduldsfaden gerissen zu sein. Um 11 Prozentpunkte, ergab die globale Fondsumfrage der Bank of America vom August, ist der Anteil der in Emerging-Markets-Aktien übergewichteten Befragten im Vergleich zum Juli eingebrochen. Der Fall der Schwellenländer in der Gunst der Anleger hat einen einfachen Grund: Das Abschneiden der dortigen Aktienmärkte im laufenden Jahr ist überaus enttäuschend. Nach der rasanten Erholung im Anschluss an den Corona-Crash hat der Sammelindex MSCI Emerging Markets seit Anfang 2021 1,3% verloren, während der Industrieländerindex MSCI World um 16,2% zugelegt hat.

Damit verlängert sich die bereits seit vielen Jahren anhaltende Underperformance der Schwellenländeraktien weiter. Nun bildet der Sammelindex sehr unterschiedliche Länder ab, unter seiner Oberfläche verbergen sich sehr starke Wertzuwächse wie etwa im Falle Indiens, zudem lautet er auf Dollar. Insgesamt gesehen – und nicht nur aus Sicht von in Dollar rechnenden Anlegern – kann die Performance aber nur als mager bezeichnet werden. Seit Anfang 2010 hat der Index lediglich um rund 11% zugelegt, während sein Industrieländer-Pendant um rund 144% angezogen hat. Zu den vielfältigen langfristigen Ursachen der Underperformance zählt die deutliche Verlangsamung des chinesischen Wirtschaftswachstums in den zurückliegenden Jahren – und die zweitgrößte Volkswirtschaft steht auch in diesem Jahr im Zentrum, wenn es um Erklärungsansätze für die unterdurchschnittliche Entwicklung geht.

So macht die von China ausgehende Pandemie den Schwellenländern, so unterschiedlich die Lage in jedem einzelnen Land auch ist, mit Ausnahme unter anderem Chinas mehr zu schaffen als den Industrieländern. Zu den Ursachen gehören niedrigere Impfquoten, was gerade angesichts der hoch ansteckenden Delta-Variante ein großes Problem ist und über zunehmende bzw. drohende Lockdowns Risiken für die wirtschaftliche Erholung bedeutet.

Chinas Wachstum enttäuscht

Hinzu kommt, dass das chinesische Wachstum sich verlangsamt bzw. deutlich niedriger ausfällt als vor einigen Monaten noch erwartet, was nicht zuletzt auch stark vom Export ins Reich der Mitte abhängige Schwellenländer trifft. Zudem haben angesichts anziehender Inflation viele Schwellenländer-Zentralbanken die Leitzinsen erhöht, was das Wachstum dämpft. Dagegen haben die USA in den ersten sechs Monaten einen Boom erlebt. Die Folge ist, dass sich der Wachstumsvorsprung der Emerging Markets spürbar verringert hat. So erwartete etwa J.P. Morgan zu Beginn des Jahres für die Schwellen- und die Industrieländer für 2021 noch jeweils ein BIP-Wachstum von 7,3% und 4,9%. Derzeit erwartet das Institut 7,5% und 5,7%, so dass der prognostizierte Vorsprung von 2,4 auf 1,8 Prozentpunkte geschrumpft ist.

Zuletzt hat die gegen Technologie- bzw. Internet-Unternehmen gerichtete Regulierungskampagne der chinesischen Behörden für Druck gesorgt. Chinesische Aktien sind mittlerweile, wenn auch noch nicht vollständig, in die MSCI-Indizes aufgenommen worden, und auf die von der Kampagne betroffenen Werte entfallen laut J.P. Morgan 15% der Marktkapitalisierung. Allerdings ist dies nicht nur auf Indexebene relevant. Die Kampagne trübt die Stimmung für die Schwellenländer im Allgemeinen. Zudem trägt sie neben anderen Faktoren wie der Delta-Variante zu einer geringeren Risikoneigung der Investoren bei, was ebenfalls zulasten der Emerging Markets geht. Nicht zuletzt hemmt die Unsicherheit über das Timing der geldpolitischen Wende in den USA. In der Regel bedeutet ein Schwenk der Fed hin zu einer restriktiveren Linie über steigende Zinsen und Dollar-Kurse eine Belastung für die Schwellenländer bzw. geht zulasten ihrer Kapitalzuflüsse.

Die Schwellenländeraktienmärkte werden die Geduld der Investoren wohl noch eine Zeit lang weiter strapazieren. Für ein Ende der Underperformance spricht im Prinzip die bevorstehende Schließung des Impfrückstandes auf die entwickelten Volkswirtschaften. Damit verbes­sern sich die Wachstumsaussichten, ­während die Vereinigten Staaten ihr Wachstumshoch überschritten haben. Der Wachstumsvorsprung der Schwellenländer könnte sich in der Folge also wieder ausweiten. Zudem hat die Regulierungskampagne die betroffenen Werte bereits sehr stark gedrückt und ist somit bereits ein Stück weit eingepreist. Ferner hat die chinesische Notenbank mit der jüngsten Mindestreservesenkung den Versuch begonnen, negativen Effekten ihrer Bremsmaßnahmen gegenzusteuern.

Erhebliche Unsicherheiten

Es gibt jedoch erhebliche Unsicherheiten, die bis auf weiteres hemmend wirken dürften. Noch ist unklar, wie lange die Regulierungskampagne anhält und auf der Stimmung lasten wird. Das Gleiche gilt für die Dauer und das Ausmaß der Wachstumsverlangsamung in China. Die Pandemie bleibt trotz der Impffortschritte ebenfalls ein Unsicherheitsfaktor. Unter anderem im möglichen Auftreten neuer Virusvarianten, gegen die Impfstoffe nicht wirken, besteht ein Risiko für die globale wirtschaftliche Erholung. Nicht zuletzt werden die Marktteilnehmer mehr Klarheit über den Fahrplan für die geldpolitische Wende der USA abwarten, um deren potenzielle Konsequenzen für die Emerging Markets einschätzen zu können.